nach 1991 CineGraph Lfg. 19 S. D 1-10 "Klaus Kinski (Schauspieler)"
Klaus Kinski - Schauspieler
Klaus-Günther Nakszynski, geboren am 18. Oktober 1926 in Zoppot / Ostpreussen (heute: Sopot, Polen), Sohn des Apothekers Bruno Nakszynski und seiner Frau Susanne, geb. Lutze, einer Pfarrerstochter aus Danzig-Langfuhr. 1931/32 übersiedelt die Familie nach Berlin; ab 1936 Besuch des humanistischen Prinz-Heinrich-Gymnasiums, Berlin-Schöneberg, bis zur Untersekunda. Während des zweiten Weltkriegs in einem HJ-Wehrertüchtigungs-Lager in den Niederlanden, dann in englischer Kriegsgefangenschaft; im Lager erste Auftritte als Schauspieler vor den Gefangenen.
Nach Kriegsende hat Kinski angeblich seine ersten Engagements in Baden-Baden und Tübingen. Nachweislich tritt er 1946 zum erstenmal, von Boleslaw Barlog verpflichtet, in Berlin auf, in einer Inszenierung Willi Schmidts von Hauptmanns Die Ratten (Schlosspark-Theater, 8.11.1946). 1947/48 Engagement am Theater in der Kaiserallee: Jean Cocteaus Die Schreibmaschine (21.10.1947); Ibsens Die Gespenster (25.3.1948); beide Inszenierungen von Otto Graf. Unter der Regie von Wolfgang Langhoff spielt er in Shakespeares Mass für Mass in den Kammerspielen des Deutschen Theaters (15.10.1952); am Hebbel-Theater in Julien Luchaires Die Zwanzigjährigen (R: Walter Süssenguth, 16.2.1952). Grossen Erfolg hat er in einer Produktion der Berliner Festwochen 1952: Als Fürst Myschkin ist er der Partner der Ballerina Natascha Trofimowa in Tatjana Gsovskys Inszenierung von Hans Werner Henzes Ballettpantomime Der Idiot nach Dostoevskij (Hebbel-Theater, 1.9.1952).
Zeitweise übernimmt er Gastrollen in der Bundesrepublik und in Österreich: Im Drama Iskender des Dachauer Studienrats Leo Stettner spielt er Alexander den Grossen (Theaterstudio des Textilfabrikanten Hermann Fink, München); am Bayerischen Staatsschauspiel gastiert er als Prinz Heinz 1956 in Fritz Kortners Inszenierung von Shakespeares Heinrich IV. und als Saint-Just in Büchners Danton. Am Burgtheater Wien tritt er in der Titelrolle von Goethes Tasso auf. Als eigenes Projekt realisiert Kinski in einem Saal am Kurfürstendamm Jean Cocteaus Die geliebte Stimme. Die Aufführung, in der er mit Perücke und schwarzem Pyjama auftritt, findet trotz polizeilichem Verbot statt, wird schliesslich mit Gewalt abgesetzt. 1959 spielt er unter Rudolf Noeltes Regie an der Freien Volksbühne Berlin in einem Programm mit dem Titel Illusionen</a> (16.11.1959), in dessen Verlauf Schnitzlers Der grüne Kakadu, Wedekinds Der Kammersänger, Dürrenmatts Abendstunde im Spätherbst aufgeführt werden.
Ab 1953 tritt Kinski als Rezitator auf, zunächst im Quartier Bohème, einem Charlottenburger Künstlerlokal, dann u. a. in der Berliner Kongresshalle. Vor allem mit Gedichten Villons, Rimbauds und Schillers schafft er sich eine Fan-Gemeinde. Sein exaltierter Sprechstil, besonders seine kongeniale Interpretation der Nachdichtungen Paul Zechs von Villon-Balladen, seine oft rüden Publikums-Beschimpfungen machen seine Auftritte zu Happenings. Die Brecht-Erbin Helene Weigel und der Suhrkamp-Verlag untersagen ihm den Vortrag von Brecht-Gedichten, nachdem er eigenmächtige Kürzungen und Veränderungen vorgenommen hat. Er unternimmt Tourneen durch die Bundesrepublik, Österreich und die Schweiz, produziert etwa 25 Schallplatten mit seinen Rezitationen. 1971 versucht Kinski mit Lesungen von Evangelien-Texten an seine frühen Erfolge anzuknüpfen; sein Auftritt in der Berliner Deutschlandhalle muss unter tumultuösen Umständen abgebrochen werden.
Seit 1948 ist Kinski auch als Filmschauspieler, zunächst in kleinen Rollen, so als holländischer KZ-Häftling in der Artur Brauner-Produktion Morituri, als Transvestit in Roberto Rossellinis La paura. 1953 scheitert ein gemeinsames Projekt mit Thomas Harlan "über die jüdische Leidensgeschichte von Theresienstadt bis Tel Aviv" (Der Spiegel, 22.2.1961) - Harlan wird aus Israel ausgewiesen. In Käutners Ludwig II. ist er der geisteskranke Prinz Otto, in der Erich Pommer-Produktion Kinder, Mütter und ein General unter der Regie von Laszlo Benedek spielt Kinski einen Leutnant, der nicht lachen kann. Fritz Kortner überträgt ihm die Rolle des Attentäters in Sarajewo.
Mit Die toten Augen von London beginnt eine Reihe von Edgar Wallace-Filmen, zu deren festem Personal Kinski wird, nach eigener Aussage, um Geld zu machen. Meist wird er als Schurke eingesetzt, spielt psychopathische Typen, undurchsichtig, schemenhaft. Mit seinem überdreht albernen Gegen- und Mitspieler Eddi Arent ist er dramaturgischer Fixpunkt in den banalen, vordergründigen Inszenierungen. Kinski macht aus Chargenrollen Strauftritte. Er ist - weder im Theater noch im Film - ein Ensemblespieler. Seine Auftritte sind wie isoliert, seine Figuren stets prägnante, in den Nuancen bewusste Charakterstudien.
Ab Mitte der 60er Jahre - Kinski verlegt 1964 seinen Wohnsitz nach Rom - sind seine "Kabinettstücke" auch inernational gefragt. In Sergio Leones Spaghetti-Western Per qualche dollaro in più ist er ein buckliger Revolverheld, nervös, eine mies behandelte, darum mies gewordene Kreatur. In David Leans Doctor Zhivago spielt er einen Gefangenen, der in einem Zug mitgeführt wird und seine Mitreisenden schmäht, er selbst sei der einzig freie Mensch. Sergio Corbuccis klassischer Schnee-Western Il grande silenzio hebt sich nicht zuletzt durch Kinskis Darstellung des Kopfgeldjägers Tigrero aus der Masse der europäischen Western heraus.
Fortan spielt Kinski, der sich zu diesem Zeitpunkt um die Qualität der Rollen offenbar wenig schert, oft in schnell abgedrehten, zweit- und drittklassigen Produktionen: Italo-Western, exotische Abenteuerfilme, Horror-Klamotten, Kriegs-Spektakel, James Bond-Plagiate. (Eine präzise filmografische Erfassung dieser Phase ist kaum möglich, da die Filme oft umgetitelt, bisweilen nur angekündigt, bzw. gar nicht herausgebracht wurden. Ein Teil dieses filmischen Bodensatzes wird durch Video-Vermarktung wieder nach oben geschwemmt.) Klaus Kinski ist - kontimuierlich, selbst bei kleinsten Auftritten - ein Star, geliebt-gefürchtetes enfant terrible, das den voyeuristischen Erwartungen seines Publikums nachkommt. In seiner Rollenauffassung, so gering die darstellerischen Anforderungen auch sein mögen, ist er immer professionell, beherrscht seine Posen, setzt seine exzentrisch-laszive Gestik geschickt ein. Zu einem Markenzeichen wird sein ironisch verspieltes Grinsen.
Erst Anfang der 70er Jahre, in der Zusammenarbeit mit Werner Herzog, findet Kinski einen kongenialen künstlerischen Widerpart, der ihm - bei bisweilen turbulenten Dreharbeiten - seine reifsten Leistungen abfordert. In Aguirre (Der Zorn Gottes) spielt er einen dem Wahnsinn verfallenen spanischen Conquistador. "Der von Herzog gebändigte und dabei manchmal beängstigend aus den Nähten platzende Kinski verkörpert ihn genau richtig, als einen windigen, doch hemmungslosen Diktator, der nicht in den glänzenden Kinohimmel gehoben wird, sondern von Herzog so banal und handfest vorgeführt wird, dass man ihm ständig auf die Finger und in den Kopf schauen kann." (S. Schober, Süddeutsche Zeitung, 19.4.1973). In Nosferatu verkörpert er leise und verletzlich, überlebensmüde, den Grafen Dracula: eine zarte Person. In der Büchner-Verfilmung Woyzeck ist er die geschundene Titelgestalt. Als Fitzcarraldo - dessen Rolle Kinski übernimmt, als die ursprünglich vorgesehenen amerikanischen Stars Herzog und seine Urwald-Produktion im Stich lassen - ist er, mit dem überzeugend naiven Vertrauen zu grosser Geste, eine tragikomische Gestalt.
Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre spielt Kinski vorwiegend in italienischen Produktionen, ab Mitte der 70er vor allem in französischen Filmen. 1974 übernimmt er neben Romy Schneider in Andrzej Zulawskis Melodram L'important c'est d'aimer die Rolle eines Schauspielers, der nur noch in zweitklassigen Theatern spielt. 1981 setzt ihn Billy Wilder in einer komischen Rolle als Dr. Zuckerbrot, den neurotischen Chefarzt einer Sexklinik, in Buddy buddy ein.
1987 kommt es noch einmal zur Zusammenarbeit mit Herzog. Bei den dreharbeiten zu Cobra Verde - dokumentiert in Steff Grubers Location Africa - eskalieren die Spannungen zwischen dem ratlosen Regisseur und seinem Star. Kinski erzwingt die Ablösung des Kameramannes Thomas Mauch, verursacht wochenlange Drehunterbrechungen. "Ich hatte pausenlos vor der Kamera zu stehen. Stritt und schlug mich mit Herzog herum. Musste um jede Einstellung hartnäckig kämpfen. Wünschte Herzog mehr denn je die Pest auf den Hals. Er war noch dümmer, noch hilfesuchender und zugleich noch widersetzlicher gegen mich als während der vergangenen vier Filme, die ich mit ihm gedreht hatte. Obwohl er meine Hilfe brauchte und auch so tat, als küsste er mir den Arsch dafür, tat er hinter meinem Rücken das Gegenteil. [...] Die Ghanesen sind ein freundliches sanftes Volk. Gerade das kam Herzog zugute. Ich kannte seine Verknechtungsmethoden aus Peru, wo er sich immer auf die Wehrlosesten geworfen und wo ich ihn Adolf Hitler genannt hatte. In Ghana übertraf er sich selbst." (Kinski, 1992)
1987/88 kann Kinski ein Projekt realisieren, an dem er seit Jahren arbeitet: Kinski - Paganini. Er selbst schreibt das Drehbuch ("Die Struktur meines Films ergab sich aus dem Instinkt: Noten. Noten der Musik. Noten der gefilmten Bilder (und Dialoge). Noten der Gefühle. Alles andere würde ich während des Drehens entscheiden."), verhandelt und streitet mit Produzenten, führt Regie, verkörpert die Titelrolle, entwirft Titel und Poster und beschreibt den Kampf um das Projekt in einem Buch. Auch versucht er, seine Kinder in das Projekt zu ziehen: Sein Sohn ("Babyboy") Nanhoi spielt Paganinis Sohn. "Meiner Tochter Nastassja hatte ich seit ihrem sechzehnten Lebensjahr die Rolle der Baronin Helene von Feuerbach zugedacht; der Frau, die Paganini so leidenschaftlich liebte, dass sie mit ihm ihren Ehemann betrog und Paganini bis zur Hörigkeit verfiel. [...] Doch ihr [Nastassjas] Mann drohte ihr, sie mit ihren zwei Kindern zu verlassen, falls sie mit mir drehen würde." Der Film wird vom Filmfestival in Cannes abgelehnt, und erlebt am 17.12.1988 in Paris in einer von Kinski arrangierten Gala im Opernhaus seine Premiere (der Film kommt zuvor nur in Japan in die Kinos).
Kinski ist ein Extremist der Gefühle, einfühlsam und herrisch, fahrig und konzentriert: ein schauspiel(r)ndes Luder. In Interviews verweigert er die Antwort, steigert sich in monomanische, zuweilen degoutante, Tiraden - oder schweigt. "Klaus Kinski war als ein beängstigendes (auch komisch-belustigendes) Leinwand-Phänomen einzig kraft seines Namens, seiner grellen Mimik mit den gross aufegrissenen Augen, dem breitlippig geschwungenen Mund, dem gescheitelten oder später mähnenhaften Haar und dem sehnigen Körper für sich so präsent wie andere "populärmythische" Filmschauspieler nur dank ihrer (Frankenstein- oder Graf Dracula-) Rollen." (Schütte, 1991)
1975 veröffentlicht Kinski seine Memoiren Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, in denen er Teile seiner biografischen Daten verschleiert bzw. melodramatisch ausschmückt. Seine Brüder Arne und Hans-Joachim Nakszynski wenden sich in einer Gegendarstellung (Die Welt, 18.10.1975) wegen "gemeiner Verleumdung und verlogener Selbstdarstellung" gegen bestimmte Passagen seiner Darstellung. Die - zunehmend von pornografischen Passagen durchsetzten - Memoiren erscheinen mehrfach überarbeitet auf englisch (All I need is love) und deutsch (Ich brauche Liebe). Die Fernsehsender lieben seine gefürchteten Auftritte: "Jedes Interview, jede Talk-Show mit ihm barg die Möglichkeit des Skandals. Er pöbelte und fluchte, räkelte sich unflätig auf den Couchgarnituren der Fernsehstudios, kraulte sich zwischen den Beinen, kippte Säcke von Beleidigungen über Anwesende und Nicht-Anwesende und gefiel sich in der Rolle des ewig potenten bösen Königs unter lauter biederen Hofschranzen." (Lueken, 1991)
Kinski ist viermal verheiratet: mit Gislint Kühlbeck (Tochter Pola, geb. 1952), 1955 geschieden; 1960-68 mit Ruth Brigitte Tocki (Tochter Nastassja, geb. 1961); 1971-81 mit Geniève [sic] Minhoi (Sohn Nanhoi); 1987 mit der 17jährigen Deborah Caprioglio (Trennung 1989). Klaus Kinski stirbt am 22. November 1991 in Labunita [sic] bei San Francisco.
Autor: unbekannt
Auf die Auflistung der Auszeichnungen, Literatur und Filme habe ich hier verzichtet. Die Filmografie listet 138 Filme auf.