Theaterstück "Torquato Tasso" (Johann Wolfgang Goethe)
Originaltitel | Torquato Tasso |
Form | Schauspiel in fünf Akten |
Autor | Johann Wolfgang Goethe |
Uraufführung | 1807.02.16 Weimar |
"Gute Erfindung Tasso", notierte Goethe am 30. März 1780 in sein Tagebuch; bis zum Frühsommer 1781 arbeitete er an dieser Prosafassung, die er in Italien unter dem Eindruck der Landschaft und in besserer Kenntnis ihrer Menschen vernichtete. Hier entstand 1788-1789 die endgültige Fassung in Blankversen. Sie erschienen 1790 im 6. Band seiner Schriften und als Einzeldruck; die Uraufführung fand erst 1807 in Weimar statt. Quelle war zunächst die Tasso-Biographie von Giovanni Battista Manso (Vita di Torquato Tasso, 1621), die die legendäre Liebesgeschichte zwischen dem Renaissancedichter und der Prinzessin Leonora enthält; für die Umarbeitung zog Goethe dann auch die Biographie des Abbate Pier Antonio Serassi (La vita di Torquato Tasso, 1785) heran. Sie ist weniger legendär und gibt Hinweise auf Tassos prekäre Stellung zur Gesellschaft; hier lernte Goethe auch die Gestalt des Staatssekretärs Antonio Montecantino kennen, an dem sich der Konflikt entzündet.
Gegenüber Caroline Herder nannte Goethe als "den eigentlichen Sinn" des Stückes "die Disproportion des Talents mit dem Leben"; in einem anderen Zusammenhang sprach er von Tasso als einem "gesteigerten Werther". Tasso ist jedoch nicht nur ein "Talent", das mit den höfischen Lebensformen in Konflikt gerät, er ist zugleich ein von seinem durchaus wohlwollenden Mäzen abhängiger Künstler. So hat gerade das "Leben" mit seinen sozialen Zwängen und Abhängigkeiten grossen Anteil an der Tragödie des modernen Dichters. Parallelen zu seinen Weimarer Jahren hat Goethe selbst gezogen.
Die Aufnahme des Stücks war durchaus zwiespältig ("nicht für das Theater bestimmt", "mangelhaft", "Meisterstück"), und Goethe war von dem Erfolg der Uraufführung überrascht, da auch er an der Tauglichkeit für das Theater zweifelte: "Alles geschieht darin nur innerlich; ich fürchtete daher immer, es werde äusserlich nicht klar genug werden."
Inhalt
1. Akt
Der Garten des Lustschlosses Belriguardo bei Ferrara. Die Prinzessin Leonore und die Gräfin Leonore Sanvitale in romantischem Spiel, dessen Gegenstand Torquato Tasso ist. Der Garten ist mit "Hermen der epischen Dichter geziert": Vergil und Ariost stehen sich gegenüber als Vertreter unterschiedlicher Auffassungen der Dichtkunst. Vergil verweist auf eine pathetisch-erhabene Stilart, Ariost auf einen graziösen Stil. Alfonso d'Este, der Herzog von Ferrara und Bruder der Prinzessin, gesellt sich zu ihnen, tadelt, dass Tasso dem Kreis fernbleibe, dass sein Werk, an dem er dichte, noch immer nicht vollendet, dass er voll Misstrauen, jeder Zufall für ihn Verräterei, Tücke, Feindlichkeit sei. Tasso naht und überreicht seinem Mäzen sein Epos La Gerusalemme liberata. Die Prinzessin setzt ihm den Lorbeerkranz aufs Haupt, mit dem sie vorher die Vergil-Herme gekrönt hatte: eine Ehrung, die - obwohl kaum mehr als eine höfische Geste - bei Tasso eine Vision der antiken Einheit von Dichter und Held heraufbeschwört. Antonio Montecantino, der Staatssekretär des Herzogs, kommt von Rom mit ernsten, für den Herzog errungenen Erfolgen. Er reagiert mit Neid auf Tassos Krönung und macht so schroff den Gegensatz von Kunst und tätigem Leben sichtbar.
2. Akt
Im Saal gesteht Tasso der Prinzessin, dass Antonio seine Harmonie störe. Es wird deutlich, dass das von Tasso beschworene Goldene Zeitalter mit seiner Einheit von Natur und Lebensform, von Neigung und Pflicht nicht wiederherstellbar ist. Tassos Satz "Erlaubt ist, was gefällt", der die Daseinsform im mythischen Goldenen Zeitalter charakterisiert, setzt die Prinzessin den Vorrang des höfischen Dekorum entgegen: "Erlaubt ist, was sich ziemt". Tasso, von der Prinzessin ermutigt, sucht die Freundschaft Antonios, um seine Lebensferne zu überwinden, wird jedoch kühl zurückgewiesen und zieht gereizt den Degen. Der Herzog erscheint, erfragt den Hergang und verknurrt Tasso zu Zimmerarrest, tadelt aber auch Antonio. Tasso legt Degen und Lorbeerkranz nieder, sieht seine Vision einer Vermittlung von Geist und Tat gescheitert.
3. Akt
Die Prinzessin bespricht mit Leonore voll Sorge den Zwischenfall. Leonore rät, Tasso solle eine Zeit nach Florenz verreisen, und möchte ihn damit gerne in ihren eigenen Kreis ziehen. Antonio wünscht die Entfernung nicht, er möchte ihn nicht vertrieben haben. Er bittet Leonore, zu vermitteln, will ihn dann selbst aufsuchen.
4. Akt
Unterdessen trägt Tasso in seinem Zimmer die Gefangenschaft in tiefer Kränkung, sieht überall Neider und Feinde, Antonio als seinen Erzfeind. Er sei wohl hier schon längst überflüssig, geht auf Leonorens Vorschlag, sich zu entfernen, ein, misstraut aber auch ihr, folgt nicht ihren Plänen, sondern will trotz Antonios gütigem Abraten nach Rom, um sein Werk dort einem Kreise seiner Freunde vorzulegen. Auf die keineswegs heuchlerischen Versöhnungsversuche Antonios antwortet Tasso mit höfischem Rollenspiel und Verstellung.
5. Akt
Garten. Der Herzog ist unzufrieden mit Tassos Entfernung. Alles wäre beigelegt, doch Tasso bleibt innerlich störrisch bei seinem Willen. Der Abschied von der Prinzessin erschüttert ihn dann so sehr, dass er wieder aus dieser Welt der Verstellung und des Scheins herausfindet, doch verkennt er den Charakter ihrer tiefen, Entsagung fordernden Verbindung, wenn er eine sinnliche Bekräftigung zu erzwingen versucht ("Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich"). Sie stösst ihn zurück, dieser unerhörte Bruch alles höfischen Zeremoniells macht ihn ganz unmöglich. Er bleibt, während sie mit den Ihren davonfährt, als ein Geschlagener zurück und der vermeintliche Feind Antonio ist es, der sich seiner annimmt und an den er sich, Rettung suchend, klammert. Doch wirkliche Hoffnung könnte allein auf der ihm von der Natur verliehenen Dichtergabe gründen, die ihm nach seinem Scheitern noch bleibt: "Sie [die Natur] liess im Schmerz mir Melodie und Rede, die tiefste Fülle meiner Not zu klagen: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott, zu sagen, wie ich leide."
Aufführungen
Regie | Raoul Aslan |
Bild | |
Darsteller | Klaus Kinski (Torquato Tasso) sowie zwei weitere männliche und zwei weibliche Rollen |
Sprache | Deutsch |
Erstaufführung | 1956 Wien, Burgtheater (Intendant: Adolf Rott) |
Als Klaus Kinski 1956 von Adolf Rott ans Burgtheater in Wien engagiert wird, stellt sich dieser vor, er habe den neuen Josef Kainz eingekauft. Klaus Kinski erzählt:
Anuschka bringt mir die Nachricht, dass Rott mich erwartet. Er bietet mir einen Fünfjahresvertrag, für den ich die Höchstgage bekommen soll. Er redet sich das Maul fusselig, gesteht mir die Auswahl der Theaterstücke zu und sagt, dass er den gesamten Speilplan des Burgtheaters nach meinem Willen einrichten wird. Das ist schon wieder beängstigend. Fünf Jahre! Das erste Stück ist Tasso. Die Aufführung steht seit einiger Zeit auf dem Spielplan, und Rott lässt mir freie Hand, den Tasso nach meiner eigenen Auffassung darzustellen. Er bittet mich nur, mit dem Regisseur, Raoul Aslan, in Verbindung zu treten, damit ich ihm meine Ideen auseinandersetze. Aslan, der mich in seine Wohnung bittet, redet einen derart haarsträubenden Schwachsinn, dass ich zuerst gar nicht merke, wie er mir seine schwere Klaue auf die Schenkel legt. Er verabschiedet sich von mir mit den Worten: "Also, denken Sie daran, Tasso ist wie Toni Sailer, wenn er mit 100 Stundenkilometern eine Skipiste herunterfegt." Was habe ich mir da bloss eingehandelt! Rott stellt mir die Probebühne im Dachgeschoss des Burgtheaters zur Verfügung, wo ich vier Wochen lang von niemandem gestört werde. Meine Partner kommen nie zur Probe, und bald ziehe ich die Stühle vor, die mir die Partner ersetzen und das Maul halten. Rott hat sich in den Kopf gesetzt, mich dem Publikum als Nachfolger von Josef Kainz zu präsentieren. Deshalb will er, dass ich das Originalkostüm trage, in welchem Kainz den Tasso spielte und das jetzt im Theatermuseum auf einer Drahtpuppe hängt. Aber das Kostüm passt mir überhaupt nicht - obwohl Kainz ungefähr meine Figur gehabt haben muss, ausserdem ist es von Motten zerfressen. Ein neues Kostüm wird originalgetreu nach dem Kostüm von Kainz aus reiner Seide angefertigt und ein vergoldeter Degen für mich geschmiedet. Rott hat jährlich Millionen von Staatszuschüssen zu verschwenden. Das tut er zwar ohnehin durch seine eigenen miserablen Inszenierungen, doch will er sich in meinem Fall unter keinen Umständen lumpen lassen. Seine fixe Idee, mich als neuen Kainz eingekauft zu haben, geht so weit, dass er zwischen den Proben Fotografiertage ansetzt, wo ich im Kostüm Modell stehen muss. Die Fotografen schleppen mich vor das Wiener Kainz-Denkmal, vor die Kainz-Büste im Burgtheater, vor das Kainz-Gemälde in der Ahnen-Galerie und an seinen Grabstein! Das ist wie für Coca Cola, denke ich, nur dass ich kein Geld dafür bekomme. Mich ekelt diese Leichenfledderei an. Die Laffen vom Burgtheater hatten Josef Kainz erst den Arsch geküsst, als er bereits Krebs hatte und ihm nicht mehr viel Zeit zu leben blieb. Zur Generalprobe treffen nun auch kleckerweise die Partner ein, mit denen ich wohl oder übel das Stück aufführen muss. Die meisten sind sehr herablassend und strengen sich als arrivierte "Burgschauspieler" nicht besonders an. Ich selbst bin aufs höchste überrascht, es mit richtigen Menschen aus Fleisch und Blut zu tun zu haben, ich hatte mich schon so an meine Stühle gewöhnt. Aslan schlägt nach der Generalprobe die Hände über dem Kopf zusammen. Sein Traum von Toni Sailer ist für alle Zeiten ausgeträumt. Die Aufführung wird ein Triumph für mich. Die Menschen wollen nicht mehr nach Hause gehen und wünschen, dass ich Wien nie mehr verlasse. Quelle: 1991 Klaus Kinski Buch Ich brauche Liebe S. 181-183
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