1975.09.22 Der Spiegel Nr. 39 S. 146 "Ein ehrlicher Exhibitionist"

Aus Ugugu
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Helmut Qualtinger über Klaus Kinski: "Ich bin so wild..."

Ein ehrlicher Exhibitionist

Helmut Qualtinger, 46, der als Kabarettist begann, ist Kollege von Klaus Kinski, 48, nicht nur als Schauspieler: 1973 gab auch er Memoiren preis - in einem Beitrag zu dem Band Vom Dritten Reich zum Dritten Mann.

Klaus Kinski

Wer kennt ihn nicht, den kleinen, zarten Mann mit der Bardot-Frisur, vor dem italienische Komparsen und spanische Kleindarsteller zittern, wenn er, noch dazu mit Zigarre, durch Westernstädte reitet. Bevor ihn noch eine lebenslängliche Krankheit befällt, hat er nun seine Memoiren geschrieben: Klaus Kinski, ein Clown der Aggression, ein Ärgernis mit serösem Hintergrund.

Wenn er nicht gerade Küchenschaben verbrennt und Silberfische zertrampelt, ist Kinski ein ganz ziviler Zeitgenosse. Er zieht die Gewalt seiner Zeitgenossen an wie kein zweiter. Kinski als Hitler - das wär' was gewesen. Er kotzt, schlägt, macht Liebe, er kennt das Jahrhundert. Das Kapitel Beischlaf wird die Sensationslüsternen, die ihre Pornos kennen, enttäuschen. Er kommt in eine Kampfhandlung, wird in den Bauch, ins Herz getreten, aber zu seinem Leidwesen nicht in den Arsch. Es kommt auch ein Himbeermund vor, der ihn vergewaltigt: ein Marmelade-Erotiker, aha!

Davor erzählt er seine Jugend, die Leiden seiner Kindheit, einfühlsam und erschütternd. Ein Viertel des Buches erhebt literarischen Anspruch. Aber dann: Er gerät unter Homos, beginnt zu spielen, nicht nur mit ihnen. Er nimmt Kokain, aber Jürgen Fehling sagt: "Ich dachte, es wäre sein hohes C, aber er kommt noch höher." Im Nachkriegs-Berlin ist Klaus Kinski eine der exzeptionellsten Erscheinungen. Liebe, Arbeit, Liebe, Arbeit, viel Liebe. Er führt Blitzkriege gegen die Damen und Bühnen der Stadt. In München wird ihm und seiner Freundin vorgeworfen, dass sie "wie die Kaninchen ficken", er stiehlt daher aus des Pfarrers Klingelkasse. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ficken sie noch weiter.

"Villon, das bin ich", behauptet er, zum Jesus Christus kommt's erst später. Vorläufig spielt er die weibliche Hauptrolle in Die menschliche Stimme von Cocteau. Doch dieses Unternehmen wird verboten. Sein zutiefst ehrlicher Exhibitionismus sucht sich neue Ziele.

Er kommt in ein Berliner Irrenhaus. Seine wichtigsten Vokabeln: Jammern, Flehen, Pissen, Scheissen. "Ihr Scheisser" verwendet er auch einmal, dabei ist Klaus nicht einmal bei der Apo. Er hat kurz nach Kriegsende schon 40 deutsche Filmaufträge abgeschlagen, aber dann gibt er nach. Als er in einem Ballett Der Idiot spielt, verhöhnen ihn die Leute auf der Strasse als Langhaarigen. Das ist schon lange her.

Und so geht's weiter, Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es bleibt noch immer Zeit für Massen von Frauen: Klaus Kinski, ein sexueller Gulliver, zwischen dessen Beinen Hunderte Weiblein Platz haben.

Er spielt am Wiener Burgtheater den Torquato Tasso, er wird als "Kulturschänder" bezeichnet. Er bekommt ein Kind und nähert sich der Bürgerlichkeit. Kinderschänder zu sein ist das einzige, was ihm noch nicht nachgesagt wurde. Über Liebesspiele im Auto hingegen schreibt er ausführlich, irgendwelche Frauen sind dann von ihm schwanger. Auch auf einer Flugzeugtoilette geht es, das Liebesspiel. Dann kann man allerdings die Schönheit der Erde nicht sehen.

Er wechselt den Wohnsitz wie die Weiber, man muss beim Lesen des Buches schon sehr aufpassen, damit man weiss, auf welchem Teil der Erde man sich gerade befindet. Vorübergehend kommt ihm eine echte Liebesgeschichte unter. Aber dann geht es schon wieder weiter: Neues aus Rom, Madrid und London. Zum Schluss bleibt Kinski bei der einen, der er das Buch gewidmet hat.

"...und hat's vier Wochen lang gegoren: in diesem Saft soll'n eure Lästerzungen schmoren." (Villon)

Klaus Kinski: Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, Verlag Rogner & Bernhard, München, 392 Seiten, 29,80 Mark