1994.03.14 Berner Zeitung "Leise singen Stiller Has lauter wunderbare Lieder"

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Autor Bänz Friedli
Veröffentlichung 1994.03.14 Berner Zeitung S. 9

Leise singen Stiller Has lauter wunderbare Lieder

Stiller Has, von Kritik und Kollegen seit Jahren hochgelobt, erobern das Publikum. In der Mahogany Hall stellte das Duo, das eine Rockband ist, sein neues Programm vor: ab- und hintergründige Musik mit Zwischenrufen und Untertönen.

Der schmale Herr im grauen Anzug ist verstimmt: "Das tönt wie ne Sandsturm", sorgt sich Balts Nill wegen eines kratzenden Brummgeräuschs aus seinem Gitarrenmonitor. "Das chunnt uf alli Fäll vo dir, hani ds Gfüehl", raunt der breite Kerl im Ledergilet, Endo Anaconda, bloss unbeteiligt unter seiner Baseballmütze hervor. Gelächter im Saal. Das gibt es nicht: ein Konzert, das schon begonnen hat, bevor es anfängt.

Minimale Töne, grosser Klang

Das ungleiche Duo Stiller Has ist eine minimale Rockband: ein derart rudimentäres Schlagzeug, wie Balts Nill es bedient, gibt's gar nicht. Und ein propellerbetriebenes Harmonium wie das seine müsste längst auf der Schutthalde der Geschichte lagern - wie die DDR, wo solche "Harmona"-Örgeli einst hergestellt wurden. Nill spielt Gitarre, Banjo, Kuchenblech, er traktiert gleichzeitig das Keyboard auf seinem Schoss und die Pauke zu seinen Füssen, singt und schneidet Grimassen, flüstert und grinst. Dazu spricht und singt Endo Anaconda, dessen einziges Instrument ein an den Mikrophonständer montierter Walkman ist: jeder Ton der beiden ist sichtbar, jede Geste zu hören. Und doch hängt ihr Himmel voller Geigen, ist ihre Welt voller Klang. Die vermeintliche Persiflage ist ernstgemeinter Schlager, die vordergründige Blödelei ernstzunehmender Popsong: weil es die Musik, die Stiller Has machen, gar nicht gibt. Sänger Anaconda ist schamloser geworden, steht nun ganz zu seinen Songs und taumelt zwischen Schubidu-Chörli und Sprechgesang einen entfesselten Veitstanz. Das bewegt auch das Publikum, die zynische Distanz zum Unbekannten abzulegen und einfach zuzuhören, wenn Endo "Du Schätzeli, du" singt.

Zwar darf gelacht werden, doch stellen Stiller Has ihre Figuren nicht bloss. Für Momente ist Anaconda gar Henä, der abwartunddrümalvierezwänzgschofför, der seinen Besen wie ein Gewehr hält und gerne Jimi Hendrix gewesen wäre; oder Schämpu, Landjäger im Schwarzbubenland. Doch dann durchbricht, kommentiert er seine Bilder ("Schäm di, Schämpu!"), ermahnt er im transparenten Rollenspiel gar sich selbst: "Ändu, säg's nid!"

Zwischenbemerkungen des bodenständigen Anaconda ("Am Refrain sy mer no am schaffe"), verbale Hintertürchen und musikalische Zitate verleihen den Liedern drei- und vierfache Böden, Ungesagtes lässt sie ins Bodenlose gleiten: Stiller Has verlangen vom Publikum atemlose Aufmerksamkeit für vordergründig absurde, tatsächlich hochpolitische Wortkaskaden - und erlauben ihm gleich darauf, sich gehen und berühren zu lassen. Auf "Kauflustheidi", den bitterbös wortakrobatischen Reim auf die neue deutsche Einheit, folgt Zärtlich-Ironisches wie "So vergeht die Zeit"; auf das "Gebet" über die neue Dreifaltigkeit Normal-Super-Bleifrei folgt die Ballade "Ume Früehlig".

Die Lust an der Sprache

"Me redt hütt viel über di Linke und Nätte. Drum hei mir eifach es Lied gmacht über die Gruusige": eine Aneinanderreihung schönster "gruusiger" Dialektausdrücke. Anaconda lotet die Finessen der berndeutschen Sprache vom Kosewort bis zum Fäkaljargon respektlos aus. Die Distanz erlaubt dem gebürtigen Österreicher - "Wiener Ändu" hat man ihn in seinen ersten Berner Jahren genannt - nicht nur den geradezu erotischen Umgang mit dem Berndeutschen, sondern auch Augenzwinkern über allzu Bernisches: die hiesige Mundartrock-Szene oder den bernischen Hang zu nostalgisch schulterklopfender Verklärung: "Iih, sy das Giele gsy - iih, hei die's düreggäh..." Mag sein, dass der Stillen Hasen dadaistische Lyrik und konkrete Poesie zahlreiche Vorbilder hat: Kurt Schwitters, Ernst Jandl, Hans Carl Artmann, Alfred Lichtenstein. Einzigartig jedoch ist die musikalische Gestalt dieser Texte. Liebevoll wie mit Spielzeug spielt Balts Nill mit dem Zeug, das er als Instrumentarium um sich herum aufgebaut hat. Seine überbordende Musikalität lässt in den Miniaturen grosse Rocksongs erahnen. In gleicher Weise weisen die Texte, wiewohl Mikrogramme, auf den Makrokosmos hin: in Anspielungen brennt die Kapellbrücke ab, steht Brig unter Schlamm. Da wird präzis die Befindlichkeit ergründet in dem "lauen Land wie ein Pfund Butter", dem "Land, das von Kuhscheiss dampft". Stiller Has machen Nebensächliches zu Schauplätzen, ihre Randbemerkungen geraten undogmatisch zum Manifest.

Musik, die's gar nicht gibt

Dergestalt wird Privates brisant. So verdichtet Anaconda sein Älterwerden auf den Nenner: "Die Koffer werden grösser, und man ist froh, wenn man irgendwo zu Besuch sein kann." Was Stiller Has mit Tönen tun, hat es vor ihnen nicht gegeben: nicht Kabarett, nicht Klangskulptur, nicht Rock'n'Roll, nicht Schlager; nicht Parodie von alledem und doch all dies - Stiller Has singen Lieder, Berns beste.

Nächste Auftritte: Do/Fr 17./18. März, Biel, Théâtre de Poche, 20.30 Uhr. Fr 1. April, Bern, Reithalle, 21 Uhr.