1971.11.15 Der Spiegel Nr. 45 S. 214 "Jesus hat auch keine Pause gemacht"

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Klaus Kinski 1971

Jesus hat auch keine Pause gemacht

Spiegel-Reporter Fritz Rumler über Jesus-Jünger Klaus Kinski

Wenn Klaus Kinski lacht und fröhlich ist, dann sieht er richtig hübsch aus. Und wenn er quick und witzig vor sich hin berlinert, denkt kein Mensch an seine Scheusale aus den Wallace-Krimis und den Spaghetti-Western.

Aber wenn es ihm ernst wird, kriegt er Stahl in die Stimme, und dann sagt er: "Das ist die einzige Revolution der Welt, die wirklich keine Scheisse ist." Er meint die Jesus-Revolution, und für die geht Klaus Kinski, 45, nun auf die Bühne.

Wie einst vor zehn Jahren, als er mit leidvoll gebrüllten Villon-Balladen und Skandalen Tausende wohlig erschreckte, geht er wieder ganz allein und in die grössten Säle: Nach der Premiere (kommender Samstag) in der Berliner Deutschlandhalle zieht er durch sieben weitere deutsche Hallen und dann, so der Plan, durch die restliche westliche Welt.

Was er dabei sagen wird, hat er selbst geschrieben - eine "auf heute bezogene" Neufassung des Neuen Testaments, die "den Leuten die Existenz von Jesus Christus dynamisch" nahebringen will. "Das ist der erste Gottesdienst seit 2000 Jahren", urteilt ein Freund, der einen Onkel im Vatikan hat.

Ein neuer Kinski? "Nein", sagt Kinski, "der wirkliche Kinski." Für den Ruhelosen ist der Nazarener offenbar zur Identifikations-Figur geworden. Er wolle es nicht beschwören ("Jesus verbietet das Schwören"), doch lebe er "so fieberhaft mit dieser Idee", dass er wohl nur noch als Jesus-Jünger arbeiten werde.

Es ist ein Jesus, wie er in einem Bestseller steht. Der Wiener Kaplan Adolf Holl malt (in: "Jesus in schlechter Gesellschaft") den Herrn als Aussenseiter und Provokateur, als Freund der Dirnen und Vagabunden, als Feind aller Kirchen: "Er ist weder katholisch noch jüdisch, noch kommunistisch." Kinski über Holl: "Ein phantastischer Mann."

Holls Anarchist ähnelt sehr dem Hippie-Christ der Jesus-People; Kinski bringt die beiden zusammen. Schweift man mit ihm in vergangene Tage, dann leuchtet irgendwie ein, dass dieses verletzliche, aggressive Skandal-Genie in Jesus seinen Mann sieht; und Kinski der Wüste wird etwas verständlicher.

Er erzählt Geschichten vom Kellerkind. Als kleiner Junge habe er sich oft an der Scheibe die Nase eingedrückt, um sich eine Salami anzuschauen: "Ich hab' so lange geguckt, bis ich satt war." Einmal habe seine Mutter die Schuhe ausgezogen und versetzt, "um mir ein Stück Kuchen zu kaufen."

Dass man die Haare wachsen lässt und nicht "wie ein Nazi abschneidet", hält er für einen "ersten Schritt zur Freiheit". Als er, vor 20 Jahren, für die Rolle des "Idioten" die Haare lang trug, "spuckten mich die Leute an und schlugen mich nieder."

Irgendwie, sagt er, müsse auf seiner Stirn stehen: "Schlagt ihn." Der Aussenseiter, der Ausfallende: Bei seinen Auftritten habe keiner gehustet, "weil ich den Leuten gesagt habe: Wenn ihr eure Schnauzen nicht haltet, gehe ich nach Hause."

Die Mammut-Tournee vor zehn Jahren hält er heute für "übertrieben". Aber: "Ich hatte Schulden." Er bekam "Herzkrämpfe", und wenn er sich "schluchzend vor Erschöpfung am Vorhang festhielt, dachten die Leute, das gehört dazu."

Er ging nach Italien, weil ihm in Deutschland "einfach die Kotze hochkam." In Spaghetti-Western wurde er der grosse Sado-Schurke, verdiente "ein bis zwei Millionen im Jahr", wechselte die Autos wie Hemden und "schmiss das Geld raus wie ein Wahnsinniger."

"Alle sassen bei mir rum und frassen Kaviar und tranken französischen Sekt." Deswegen wurden, sagt Kinski, auch die meisten Zeitungsberichte nichts, "weil die Reporter nur Kaviar frassen, besoffen waren und auf den Teppich kotzten."

Das war ein Leben, auch beim Filmen. In Corbuccis phantastischem Winter-Western Leichen pflastern seinen Weg spielt Kinski einen Mann, der im Namen des Rechts schlimme Dinge treibt. Sozialkritischer Knalleffekt des Films: Kinski überlebt als einziger.

Das kam so, sagt Kinski: Eigentlich sollte er sterben, aber vor dem letzten Gefecht ging der Film-Gesellschaft das Geld aus. Kinski streikte und riet Corbucci: Du kannst den Film nur retten, wenn ich überlebe. So geschah es.

So fabulierte er sich, ein ängstliches, exzentrisches Kind, furch den dunklen Wald der Welt, macht Dämonen-Fratzen, um Dämonen abzuwehren, hat das Geld hinausgeschmissen, und nun ist Jesus seine Zuversicht.

Aber eben der Holl- und Hippie-Jesus, und der verbietet, beispielsweise, nicht die Ehe. Kinski brachte, als dritte Gattin, eine frankovietnamesische Kindfrau mit nach Deutschland. Sie ist weitaus schöner als alle Maria Magdalenen.

Kinskis Neuestes Testament wird mit der Verlesung eines Jesus-Steckbriefs anheben (Beruf: "Arbeiter... hält sich auf unter Asozialen") und in der Gegenwart bleiben: Statt Jerusalem sagt Kinski, "grosse Städte", statt Judas "der, der ihn verraten hat"; und nach anderthalb Stunden enden wir mit der Kreuzigung.

Er will ohne Pause sprechen, "denn Jesus hat auch keine Pause gemacht". Aber es kann natürlich Zwischenrufe geben: Kinski, der, sagt er, mit sechs Jahren schon alle vier Evangelien auswendig wusste, fühlt sich für alle Fälle gewappnet.

Und am Sieg der Jesus-Bewegung hat er keine Zweifel. "Millionen werden sich anschliessen", sagt er, eine Art Welt-Woodstock-Fest bahnt sich an, "und es wird passieren, was Jesus gesagt hat: Die bestehende Ordnung wird untergehen."

Der Herr spricht so: Wer es fassen kann, der fasse es.



Autor: Fritz Rumler