1991.12.10 Filmdienst Ausg. 25 S. 20 "Sehnsucht und Leidenschaft"

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Sehnsucht und Leidenschaft

Zum Tod von Klaus Kinski

Für seinen Regisseur war er schlicht ein "Weltwunder", er wiederum titulierte ihn im Streit schon einmal als "Zwergen-Regisseur". Doch das "Weltwunder", als egozentrischer Schauspieler verschrieen, der sich in kein Ensemble einpassen konnte und wollte, und sein "Zwergen-Regisseur" fanden immer wieder zusammen. Die Rede ist vom "enfant terrible" Klaus Kinski, den Regisseur Werner Herzog 1972 in Aguirre (Der Zorn Gottes) zu einer Höchstleistung anspornen konnte. Kinski spielt darin den Conquistador Lope de Aguirre, der auf der Suche nach dem sagenumwobenen Goldland Eldorado dem Wahnsinn anheimfällt und schliesslich, nachdem seine Truppe aufgerieben ist, allein im Dschungel im Pfeilhagel feindlicher Indianer stirbt.

Kinski legte sein ganzes schauspielerisches Gewicht in diese Rolle, und jene kurze Szene, in der er ein Pferd allein durch seine Stimme in Panik versetzt und zu Fall bringt, belegt die ungeheure Intensität, mit der er bei seiner Arbeit zu Werke ging. Der exzentrische Herzog hatte im Egomanen Kinski nicht nur einen idealen Widerpart gefunden. sondern auch einen Darsteller, der seinen Vorstellungen von extremen Heldenfiguren perfekt entsprach. Mit Nosferatu (Phantom der Nacht)</a> (1978), der Büchner-Verfilmung Woyzeck (1979), Fitzcarraldo (1981) und Cobra Verde (1987) wurde die Zusammenarbeit, wenn auch mit unterschiedlichen künstlerischen Ergebnissen, fortgesetzt. Im Zusammenspiel mit Herzog fand Kinski, der auch im Privatleben die Rolle des Exzentrikers lebte und pflegte, zu den wirklich grossen Rollen seiner wechselhaften Karriere.

Obwohl er in mehr als 100 Filmen mitwirkte, wird für viele die Erinnerung an Klaus-Günther Nakszynski - so sein bürgerlicher Name (geboren am 18.10.1926 in Ostpreussen) - durch die Vielzahl der Bösewichte, Schurken und zwielichtigen Gestalten, die er im Laufe seiner Karriere verkörperte, geprägt sein. Und in der Tat, heute, in der Nachschau ist Kinski der einzige, dessen Erscheinung aus der Masse der Darsteller in Edgar-Wallace-Verfilmungen in der Erinnerung hängen geblieben ist. Dort spielte er nicht unbedingt den Täter, das wäre zu einfach gewesen, eben kein Rätsel mehr; er spielte meist eine mit einem Geheimnis behaftete Nebenfigur, deren blosses Erscheinen bereits Unheil suggerierte. Den schmächtigen Körper häufig im Halbdunkel verborgen, mit wirrem Blick und sardonischem Lächeln sorgte zumindest er dafür, dass der markige Werbeslogan "Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu werden", sich nicht gänzlich als falsch erwies.

Zum Film war Kinski, dessen Schauspieler-Karriere in einem britischen Kriegsgefangenenlager begann, bereits 1948 gekommen, als er in Eugen Yorks Flüchtlingsdrama Morituri mitwirken konnte, Diesem Engagement folgten einige wenige Filme in den 50er Jahren, während der Kinski nicht nur Bühnenerfahrung sammelte, sondern sich auch einen Namen als Rezitator der Gedichte und Balladen von Villon und Rimbaud machen konnte. Anfang der 60er Jahre wurde - nicht nur - der deutsche Film auf ihn als den "idealen Bösewicht" aufmerksam. Kinski hatte seinen Typus nicht nur gefunden, sondern wurde durch seine eigenwillige Interpretation dieser Rollen auch rasch auf diesen Typ festgelegt. Er verstand es, ihn durch "pathologische Überhöhung" mit der Aura eines von Dämonen getriebenen Menschen zu versehen.

1965 zog Kinski nach Rom. Die Wallace-Serie lief aus, der Leinwand-Bösewicht sprang auf den anfahrenden Italo-Western-Zug auf, vertauschte die Rolle des somnambulen Einzelgängers mit der des handfesten Western-Anti-Helden. Als herausragend aus dieser Phase ist Sergio Corbuccis Winter-Western Leichen pflastern seinen Weg (1968) einzustufen, in dem Kinski an der Seite von Jean-Louis Trintignant den Kopfgeldjäger Loco spielte. Kinski, der nie ein Hehl daraus machte, auch um des Geldes Willen zu filmen - daher weist seine Filmografie auch eine Vielzahl mehr als unterdurchschnittlicher Filme auf -, erregte Anfang der 70er Jahre zumindest in Deutschland Aufsehen und Tumulte, als er sich im Zuge der Jesus-Bewegung als Rezitator des Neuen Testaments hervortat. Etwa zur selben Zeit lernte er auch seinen "Zwergen-Regisseur" kennen. Sein skandalumwittertes Privatleben kultivierte er ebenso wie sein Leinwand-Image, und mit seiner selbstgefälligen Autobiographie Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund (1975) brachte er sogar die eigene Familie gegen sich auf. Seine Brüder wandten sich mit einer Gegendarstellung wegen "gemeiner Verleumdung und verlogener Selbstdarstellung" gegen einige Passagen seines Buches. Seit 1982 lebte Klaus Kinski in Los Angeles und verschwand - bis auf einige Ausnahmen (die Filme mit Werner Herzog, Buddy buddy von Billy Wilder) - in der schauspielerischen Versenkung. Einige Söldner-Filme in den 80er Jahren und billige Horror-Produktionen sorgten dafür, das der gealterte Bösewicht im Geschäft blieb. Die meisten dieser Filme sind hierzulande nie ins Kino gekommen und werden auf Video verramscht.

Man mag zu Klaus Kinski, der am 23. November in Los Angeles starb, stehen, wie man mag: Grösse als Darsteller ist ihm nicht abzusprechen, auch wenn diese mitunter nur kurz aufflammte, um eine Szene, eine Geste oder auch nur einen Blick zu erhellen. Und auch heute noch haben seine Villon-Interpretationen (er hat mehr als 20 Schallplatten aufgenommen) nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Noch immer glaubt man in dieser manchmal sehnsüchtig-werbenden, manchmal unbeherrscht-aggressiven Stimme einen Menschen zu erkennen, der von Leidenschaft und Sehnsucht getrieben wurde - nach dem Leben und der Liebe: Unglück, das nach einem künstlerischen Ausweg ringt.



Autor: Hans Messias