Text "Warnung vor Macisten" (Linus Reichlin)

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Version vom 15. September 2006, 16:15 Uhr von Michi (Diskussion | Beiträge)
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Kürzlich war ich auf einer Party, wo man mexikanisches Bier trinken musste, in dem ein Wurm schwimmt. Am Schluss hätte ich am liebsten diesen Wurm geschluckt, als noch länger einem Herrn mittleren Alters zuzuhören, wie er seinem Computer göttliche Eigenschaften andichtete. Ich muss hier kurz einflechten, dass es nebst den Sonnentemplern, Scientologen und Protestanten noch eine andere, bisher unerforschte Sekte gibt, nämlich die der Apple-Macintosh-Benutzer, kurz Macisten. Sie sind nicht sehr zahlreich, vertreten aber eine Lehre, die dem Drogenhandel an Gefährlichkeit nicht nachsteht und Züge einer elitären Weltanschauung trägt. Kern des Macismus ist die Überzeugung, dass Apple-Computer allen anderen Computern überlegen sind, insbesondere den Windows-Computern, in denen ein echter Macist nichts anderes zu sehen vermag als "Schrott".

"Schrott", sagte also jener Herr, den ich oben im Zusammenhang mit einem widerlichen Tequilawurm erwähnt habe, "Windows ist Schrott, alles geklaut von Apple... nicht halb so benutzerfreundlich wie der Apple... sieht auch noch scheusslich aus" - usw...

Ich muss hier kurz einflechten, dass Macisten im Grunde genommen arme Teufel sind. Vor zehn Jahren haben sie sich einen Apple gekauft, weil diese damals tatsächlich noch die besseren Computer waren. In langen Nächten drangen sie immer tiefer in die Labyrinthe ihres Betriebssystems ein, lernten Dateien zu speichern, lernten die gespeicherten Dateien wiederzufinden und als es ihnen endlich gelang, die wiedergefundenen Dateien sogar wieder zu öffnen, hatten sie den Computer liebgewonnen und blieben dem nunmehr vertrauten Betriebssystem treu. Vor vielen Jahren liebte ich einmal eine Frau auch dann noch weiter, als sie längst mit einem anderen in Kalifornien eine Bootsvermietungsgesellschaft gegründet hatte. Ich kann mich also gut in die Macisten einfühlen: Die Windows-Computer werden immer besser, einfacher, schneIler, aber die Macisten bleiben ihrem alten System treu, obwohl es immer schlechter, komplizierter und dröger vor sich hinrechnet.

Heute steht die Firma Apple vor dem verdienten Bankrott, aber sowenig ein gestandener SVP-Wähler vom Mythos der Schweiz als Vrenelis Gärtli Abschied nehmen kann, sowenig können sich die Macisten eingestehen, dass die grosse Zeit ihres Computers vorbei ist. Jener Herr mit dem Wurm auch in seinem Bier, verteidigte seinen "Power-Mac" wie die männlichen Insassen des Altersheims Schönengrund ihre Aktivdienstzeit und attestierte ihm auch noch Widerstandspotential gegen die Alleinherrschaft des Windowschefs Bill Gates.

Kein Windows-Benutzer käme auf die Idee, in seinem Computer etwas anderes zu sehen als eine nützliche Erweiterung des Gehirns. Für Macisten aber ist ihr Mac eine Weltanschauung, manchmal sogar ein heiliger Schrein, in dem, wie in der Hostie, ein unsichtbares Prinzip wohnt.

Das finde ich rührend. Aber ich arbeite doch lieber mit einem richtigen Computer.



Aus: 199? Die Weltwoche Nr. 31 - Kolumne "Cyberia"