1995.07.27 Nürnberger AZ "Ein Schwergewicht pflügt durch die Gedankenwellen"
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Veröffentlichung | 1995.07.27 Nürnberger AZ |
Ein Schwergewicht pflügt durch die Gedankenwellen
Das Schweizer Duo Stiller Has gibt sein Nürnberg-Debüt
Eigentlich schaut er sich nicht gerne zu auf der Bühne, sagt der Mann, nachdem er seine Selbstbeschreibung abgeliefert hat. Wie er als Schwergewicht durch die Gedankenwellen pflügt, schon optisch der Kontrapunkt zum schmalen Ein-Mann-Orchester des Balts Nill. Ein wortgewaltiger Bühnenberserker sei er, "als ob Thomas Bernhard zur Hammond-Orgel sänge", schreibt die Kritik ehrfürchtig über Endo Anaconda, den Texter des Berner Duos Stiller Has. Gegensätze ziehen sich eben an und andere auch: In der Schweiz werden ihre "Heimatlieder ohne Heimat" verehrt, ihre Kleinkunst mit grosser Wirkung wurde soeben mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. Am Samstag (18 Uhr) geben sie in der Katharinenruine ihr Nürnberg-Debüt.
"In der Preisvergabe sehe ich das Bemühen, verknöcherte Pfade zu durchbrechen", meint Enzo [sic] Anaconda. Mit trockenem Humor und Skepsis betrachtet er den Zustand der einzelnen Sparten und lässt sich genüsslich dazwischenfallen - ins "Niemandsland zwischen Liedermacherei, Rock und Literatur."
Die alte Form von Kabarett "ist abgesunken und erstarrt", an der Rockmusik stört ihn "das genormte Klangbild", dass literarische Inhalte "mit Frenchdressing zugekippt werden" oder sich ohnehin nur auf zwei Prozent belaufen. Stiller Has gewichtet gerecht: 50 : 50 sei der Anteil von Wort und Ton.
"Alpinisten" hiess mal ein Produkt der beiden unerhörten Querköpfe. Aber ihnen deshalb Volksmusik-Nähe zu unterstellen, grenzt schon an Schamverletzung: "ich konnte den Jodel- und Lederhosen-Groove schon als Kind nicht leiden", sagt der 40jährige Anaconda. "Meist kommt auch heute nichts bei einer Synthese mit anderen Stilen heraus. Das hat grösstenteils die Beliebigkeit der FPÖ."
Was Stiller Has macht, ist die "Fortsetzung von Rock'n'Roll mit anderen Mitteln", die Musik das "akustische Bühnenbild" für die Worttreibjagd. Ein Minimalismus, der durch die Not geboren wurde (man übte in einer engen Mansarde) und heute seine Fortsetzung in der Faulheit findet. Was man durchaus zur Gruppenphilosophie ausgebaut hat. Denn schliesslich "geht es mehr um eine Haltung, etwas entdecken zu können."
Einen "hässlichen, ehrlichen kaputten" Alltag etwa, politische Brisanz hinter dem Absurden, Fäkal-Poesie und perfide Pointen. Dass man den dadaistischen Hintersinnsverhau mit Ulk-Instrumentarium, der geradezu prädestiniert scheint für eine steile Underground-Karriere, immer in der Nähe von Ringelnatz, Jandl und Schwitters ansiedelt, schreibt der Wortspieler der Denkfaulheit von Journalisten zu: "Da schreibt einer etwas Gescheites, und andere schreiben es ohne Zusammenhang ab."
Besonders geborgen fühlt er sich in dieser Wortjongleur-Nachbarschaft auch nicht. Die Bibliothek, die ihm seine Eltern hinterlassen haben, hat Anaconda geschafft, aber systematisch hat er sich nie mit Literatur auseinandergesetzt. Heute hat er "die Nase voll davon": "Ich lese nur Wildwest-Romane."
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