Stenka Rasin
Kosakischer Anführer ; geboren etwa 1630 in Staniza Simoweiskaja-na-Donu als Stepàn Timofèjewitsch Rasin, gestorben 16. Juni 1671 in Moskau (hingerichtet)
Dem Räuber-Revolutionär Stenka Rasin bewahren die russischen Bauern bis heute ein ehrendes und von zahlreichen Legenden umranktes Andenken.
1662-1663 unternahm er an der Spitze der Donkosaken Streifzüge gegen Krimtataren und Türken, 1667-1669 einen Raubzug an die persischen Küstengebiete des Kaspischen Meeres. Von 1670-1671 war er Führer eines antirussischen Volksaufstandes am Don und an der unteren Wolga.
1661
Die älteste über Stenka Rasin erhaltene Nachricht besagt, dass er 1661 auf eine Wallfahrt zum Solowezki-Kloster im Weissen Meer Moskau passierte. Danach kehrte er wieder zu den Donkosaken zurück.
1667
Stenka Rasin beabsichtigt, türkische Ortschaften am Schwarzen Meer zu plündern. Als ihm das nicht gelint, zieht er an der Spitze kühner Habenichtse den Don hinauf und raubt die Häuser wohlhabender Kosaken aus. Dort wo der Don der Wolga am nächsten kommt, gründet er ein befestigtes Lager. Die Possad-Bevölkerung von Woronesh versorgt ihn und seine Mannschaft mit Pulver und Blei gegen Geld erbeutete Waren. Obwohl die Behörden in Moskau informiert sind, ergreifen sie keine Massnahmen dagegen. Stenka inzwischen organisiert seine Leute, wie bei den Kosaken üblich, in Hundertschaften und Zehnmännergruppen. Die Gemeinschaft bildet gewissermassen eine wehrhafte Räuber-Republik, in der Stenka Rasin als Ataman den Oberbefehl innehat, während für gesetzgeberische Beschlüsse der "Ring", eine Art Landsgemeinde, zuständig ist.
Im Sommer 1667 baut Rasin ein zweites Lager an der Wolga und weiht es auch gleich durch einen sensationellen Überfall auf vorüberfahrende Schiffe ein. Die "Flotte", die ihm zum Opfer fällt, ist von Nischni Nowgorod nach Astrachan unterwegs. Auf einem der Schiffe befinden sich Gefangene, die deportiert werden sollen; Rasin lässt ihnen die Ketten abnehmen und setzt sie in Freiheit. Andere Fahrzeuge sind mit Getreide und sonstigen Gütern befrachtet; sie gehören zum Teil russischen Kaufleuten, zum Teil dem Patriarchen, und Stenka Rasin "expropriiert" sie. Die auf den Schiffen befindlichen Strelitzen leisten keinen Widerstand, auch dann nicht, als ihre Vorgesetzten getötet oder gefoltert werden. Den Schiffsknechten krümmt der Räuber kein Haar. "Ich bin nur gekommen", erklärt er, "die Bojaren und die reichen Herren zu schlagen; mit den armen und einfachen Leuten bin ich bereit, alles brüderlich zu teilen." Viele der befreiten Gefangenen wie auch der Matrosen und Büttel schliessen sich darauf Rasins Bande an, die inzwischen bereits über 35 Schiffe und 1'500 Bewaffnete verfügt.
Mit seiner Streitmacht fährt Stenka Rasin die Wolga hinab. Dem Wojwoden der Stadt Zarizyn (heute Stalingrad) jagt er einen ordentlichen Schrecken ein und zwingt ihn zur Lieferung aller für Schmiedearbeiten erforderlichen Werkzeuge. Auf seinem weiteren Weg begegnet er in der Nähe von Tschornyj Jar dem Wojwoden Beklemischew, der er plündert und auspeitschen lässt. Dann erreicht er das Kaspische Meer, fährt den Jaik-Fluss hinauf und erobert mit List die Stadt Jaitzkij Gorodok (Uralsk), wo er 170 Strelitzen hinrichten lässt. Die übrigen Soldaten erhalten freien Abzug, werden dann aber eingeholt und teils niedergemacht, teils in die Kosakenbande aufgenommen.
Im November 1667 erhält Stenka Rasin einen Brief des russischen Zaren Alexei I. Michailowitsch (1629-1676), der ihn ermahnt, von der Rebellion abzulassen und an den Don zurückzukehren. Der Ataman gibt eine ausweichende Antwort.
1668
Im Frühjahr 1668 fährt Stenka Rasin ins Kaspische Meer hinaus und plündert, zusammen mit anderen Piraten, die sich ihm angeschlossen haben, die Küste von Dagestan, wobei er verschiedene Städte (u. a. Derbent) vollkommen zerstört. Rasin versucht dann als Söldnerführer in die Dienste des persischen Schahs Safi II. (1647-1694) zu treten, entsprechende Unterhandlungen gehen jedoch erfolglos aus.
1669
Nach grausamer Brandschatzung weiterer Ortschaften besiegt Stenka Rasin eine persische Flotte, wobei er die schöne Tochter eines Chans erbeutet.
Am 25. August 1669 erscheint der Räuber plötzlich in Astrachan und erklärt, sich dem Befehl des Zaren zu unterwerfen und um Vergebung für seine Taten bitten zu wollen. Er deponiert seinen "Buntschuk" - den rosschweifgeschmückten Stab als Abzeichen seiner Befehlsgewalt - und alle Fahnen im Amtshaus, sichert die Auslieferung seiner Kanonen und die Freilassung sämtlicher Gefangenen zu. Er schickt eine Abordnung mit seinem Begnadigungsgesuch nach Moskau. Dann veranstaltet er grosse Gastmähler, um den Abschied vom Piratenleben würdig zu feiern. Während einer Vergnügungsfahrt auf der Wolga packt Rasin die neben ihm sitzende persische Prinzessin, die er zu seiner Geliebten gemacht hat, und wirft sie samt ihrem kostbaren Schmuck in den Fluss. "Nimm, Mütterchen Wolga", ruft er aus. "Viel Silber und Gold und Reichtum jeder Art hast du mir gegeben und Ehre und Ruhm mir zuteil werden lassen, ich aber habe dir noch nicht gedankt."
Am 4. September 1669 bricht Stenka Rasin mit seinen Kosaken auf, um gemäss dem Willen des Zaren an den Don zurückzukehren. Es scheint jedoch, dass er nicht ernstlich entschlossen war, sein Versprechen zu erfüllen; die Aussicht, sich wieder unter die "registrierten" Kosaken einzureihen und mit kargem Sold vorlieb nehmen zu müssen, war ja auch nur wenig verlockend. Zudem besteht noch keine Gewissheit darüber, ob der Zar die Anführer der Räuberbande würde straflos ausgehen lassen, wenn sie sich erst einmal aufgelöst hätte. Schon in Zarizyn gerät Rasin in heftigen Streit mit dem dortigen Wojwoden, weil dieser befohlen hat, von den durchreisenden Kosaken für Wein den doppelten Preis zu verlangen, um Orgien und Ausschreitungen zu verhüten. Über diese Verfügung empört plündern Rasins Kosaken ein aus Moskau kommendes Schiff und vernichten die darauf befindliche amtliche Post. Besonders zornig wird Stenka Rasin selbst, als man ihm zumutet, entlaufene Bauern, die sich im angeschlossen haben, auszuliefern. "Wie wagst du es", schreit er den Boten an, "mit solchem Auftrag mir vor die Augen zu treten? Noch nie ist es bei den Kosaken Brauch gewesen, seine Freunde preiszugeben. Sag deinem Wojwoden, dass ich vor ihm keine Angst habe, und auch vor denen nicht, die über ihm stehen. Mit diesem feigen Dummkopf werde ich noch abrechnen. Er will mich als Cholopen (Knecht, Sklave) behandeln, ich bin aber ein freigeborener Mensch. Alle diese Taugenichtse werde ich meine Macht noch fühlen lassen." Und sogleich nimmt er den revolutionären Kampf gegen die russische Staatsgewalt auf.
Zuerst gründet er auf einer im Don gelegenen Insel ein neues befestigtes Lager, das Städtchen Kagalnik. Dann beurlaubt er seine Leute für kurze Zeit, damit sie ihre Angehörigen besuchen un die gemachte Beute mit ihnen teilen können; denn bei den "proletarischen" Kosaken ist es üblich, dass diejenigen, die zuhause bleiben, den auf Raub und Abenteuer ausziehenden Kameraden Wegzehrung mitgeben und einen Beitrag an die Kosten der Bewaffnung stiften. Dafür revanchieren sich die Piraten durch Geschenke, wenn sie heimkommen, oder sie liefern die Hälfte ihrer Beute ab. Von der Fülle der gewonnenen Schätze beeindruckt stellen sich jetzt immer grössere Scharen unter Rasins Befehl.
1670
Im Frühjahr 1670 trifft eine Begnadigungsurkunde des Zaren Alexei I. Michailowitsch ein, doch will Stenka Rasin davon nichts mehr wissen; er widersetzt sich jeder Versöhnung mit Moskau und lässt den Überbringer des huldvollen Schreibens im Don ertränken.
Um diese Zeit beginnt Rasin auch gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche Propaganda zu machen, da ihm die Geistlichen, als Fürbitter des Zaren vor Gott, verdächtig erscheinen. Nicht dass der Ataman ein Feind der Religion wäre: später erachtet er es sogar für nötig, eine neue Wallfahrt nach dem Solowezki-Kloster zu unternehmen. Ihm liegt nur daran, den Einfluss der Geistlichkeit, dieser Hilfsorganisation der autokratischen Staatsgewalt, in seinem Machtbereich zu beseitigen. So lehrt er denn seine Leute: "Wir brauchen weder Gotteshäuser noch Popen (Pfarrer). Für die Trauung, meint ihr? Da ist doch alles gleich: stellt euch als Paar unter einen Baum, führt einen Tanz auf rund um ihn, dann seid ihr Mann und Frau." Solche Hochzeiten sollen auch wirklich stattgefunden haben.
Nachdem noch ein anderer berüchtigter Kosakenführer, Wasska Uss ("der Schnauzbart"), sich mit seiner Band Rasin angeschlossen hat, ziehen die jetzt etwa 7'000 Mann starken Rebellen - teils zu Schiff, teils zu Pferd - gegen Zarizyn. Rasin hat Anhänger in der belagerten Stadt, die ihm denn auch die Tore öffnen. Der Wojwode Turgenjew verschanzt sich mit wenigen Leuten in einem Turm, während die Stadtbevölkerung Trinkgelage zur Feier ihrer Verbrüderung mit den Kosaken veranstalten. Stark angeheitert erstürmt Stenka Rasin das vom Wjwoden noch gehaltene Fort; am folgenden Tag wird der unglückliche Statthalter an einem Strick zum Fluss geführt und hineingeworfen.
Nun gibt Stenka Rasin bekannt, dass er gegen Moskau ziehen will, um die Bojaren zu bekämpfen. Eine gegen ihn heranrückende Abteilung von 1'000 Strelitzen besiegt er mühelos. Die Hälfte dieser Truppen wird getötet, der Rest gefangengenommen und für den Ruderdienst auf den Schiffen der Kosaken verwendet. Den so versklavten Soldaten wird erklärt: "Ihr kämpft für Verräter (für den Adel), und nicht für den Zaren; wir aber kämpfen für den Zaren." Diese Formulierung ist ungemein charakteristisch für die naive politische Ideologie von Stenka Rasins Freiheitskämpfern: Dass das Reich unter der Herrschaft eines Zaren stehen muss, gilt ihnen als selbstverständlich. Für das ganze Land ein demokratisch-republikanisches Regime zu errichten kommt niemandem in den Sinn.
Um nicht zwischen zwei Feuer zu geraten, entschliesst sich Rasin, vor seinem ZUg gegen Norden die Stadt Astrachan an der Wolgamündung zu erobern. Er entsendet dorthin seine Agenten, die ihm melden, dass ein Grossteil der Bevölkerung mit den Kosaken sympathisiere. Unterwegs stösst Rasin mit etwa 3'000 Strelitzen zusammen, die jedoch sofort zu den Rebellen übergehen und ihre eigenen Offiziere fesseln. Rasin wird eine begeisterte Ovation bereitet und hält eine Ansprache. Er verheisst ihnen "ein Leben in Freiheit und Wohlstand". Während man seine Worte bejubelt, werden die entwaffneten Offiziere getötet. In Astrachan selbst trifft inzwischen der Wojwode, Fürst Prosorowskij, für den Fall einer Belagerung alle nötigen Massnahmen. Dass auf seine Soldaten kein Verlass ist bleibt ihm nicht verborgen. Um ihre Stimmung zu heben, zahlt er ihnen aus der Kasse des Metropoliten und eines Klosters schöpfend, alle Soldrückstände aus. Dann ermahnt er auch die angesehenen Bürger der Stadt, sich tapfer zu schlagen. Auf eine erfolgreiche Verteidigung der Stadt hofft er wohl selbst nicht mehr. Am 24. Juni 1670 wird Astrachan von den Kosaken genommen. Die unteren Schickten der Stadtbevölkerung haben die Angreifer aktiv begünstigt. Es folgt ein furchtbares Blutbad. Den Wojwoden stürzt Rasin von einem hohen Tumr hinab. Auf ähnliche Weise tötet man auch seinen ältesten Sohn. In ein Massengrab werden 441 Leichen geworfen. Das Vermögen der Besitzenden wird auf einem grossen Platz zusammengetragen und unter die Kosaken gleichmässig verteilt.