1994.10.05 Neue Zürcher Zeitung "Ohne Selbstgefälligkeit"
Ohne Selbstgefälligkeit
Stiller Has
Ganz anders beim Konzert von Stiller Has im Restaurant Reithalle am Montag, spätabends: Dicht gedrängt und äusserst gespannt erwartet das Publikum das skurrile Berner Duo und seine Lieder. Mit dem soeben erschienenen zweiten Album, Landjäger, ist aus dem Insidertip ein Medientip geworden; Journalisten kalauern hakenschlagend nur schon ob des Namens, Schriftsteller Peter "Wettermacher" Weber attestiert dem ersten Werk des Duos "reine Substanz" und prophezeit, dass es noch lange Literatur- und Musikwissenschafter beschäftigen werde. Massig steht er dann da, der gebürtige Österreicher Endo Anaconda, gestikuliert wild und fahrig, deklamiert seine Texte einmal polternd, ein andermal scheinheilig trällernd, rappt aber auch einmal, um einem glaubhaft zu erklären, was "gruusig" ist.
Die andeutungsreiche, knochig-minimale Spielzeugmusik, die Balts Nill dazu fortlaufend auf einem ulkigen Instrumentarium entwirft, vermeidet tunlichst den kleinsten gemeinsamen Geschmacksnenner und dürfte deshalb manchem Programmverantwortlichen von Radiostationen den kalten Schweiss auf die Stirn treiben. Doch sie hat Charme und treibt Endo Anaconda an, seinen Geschichten diese selten gehörte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Als bei "Hene" noch das "Werkstattorchester" mittrötet, rülpst plötzlich, so ist man überzeugt, Herbert Achternbusch stillvergnügt mit, Tom Waits keucht etwas Unverständliches dazu, und Ringsgwandl gibt wiehernd einen messerscharfen Kommentar ab. Wie viele Lieder des Duos wird auch dieses in einer wesentlich anderen - wohl improvisierten - Version als auf CD interpretiert und schildert ein persönliches Drama, das zunächst vergnüglich klingt und dann doch etwas beängstigend Realistisches hinterlässt, da es die tückischen Abgründe des Alltags aufdeckt. Bei "Hene" ist es die vorgezeichnete Lebensgeschichte von einem, der eigentlich Rockstar werden wollte und nun als Hausabwart Dackel und Kinder drangsaliert.
Stiller Has ist ein Glücksfall. So intellektuell und hinterlistig diese Mundarttexte sind, so sind sie doch aus dem Alltag gegriffen und benützen auch diese Sprache mit all ihrten Finessen. Da hat einer die träfe Sprache von Mani Matter in die Gegenwart geholt und sie mit jandlscher Lust am Wortverdrehen vom Beigeschmack der Moral und der Bedeutungshaftigkeit befreit. Vordergründig Tiefgründiges entpuppt sich als dadaistischer Schalk, beiläufige Blödelei verdichtet sich zur konzisen Befindlichkeitsanalyse. Dank dem Erfolg des Berner Mundartrocks haben zwar die Texte von Schweizer Rockbands endlich wieder mehr Gewicht erhalten, doch so richtig ausgenützt hat dies bislang nur Stiller Has.
Trio 9: Zürich, Bar El Internacional, 2. Oktober.
Stiller Has: Zürich, Restaurant Reithalle, 3. Oktober.