Text "Katechismus" (Epikur)
Was glückselig und unvergänglich ist, hat weder selber Sorgen, noch bereitet es anderen solche. Es hat also weder mit Zorn noch mit Gunst etwas zu schaffen; denn alles Derartige gehört zur Schwäche.
Der Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an.
Grenze der Grösse der Lustempfindungen ist die Beseitigung alles Schmerzenden. Wo immer das Lusterzeugende vorhanden ist, da findet sich, solange es gegenwärtig ist, nichts Schmerzendes oder Betrübendes oder beides zusammen.
Das Schmerzende verweilt nicht lange Zeit gleichmässig im Fleische, sondern, sofern es aufs äusserste schmerzt, ist es nur ganz kurze Zeit gegenwärtig, sofern es aber das Lusterzeugende im Fleische bloss überwiegt, dauert es nicht viele Tage. Langandauernde Schwächezustände schliesslich zeigen ein Überwiegen des Lusterregenden im Fleische über das Schmerzende.
Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne dass man vernunftgemäss, schön und gerecht lebt, noch vernunftgemäss, schön und gerecht ohne lustvoll zu leben. Wer dies nicht besitzt, der kann nicht lustvoll leben.
Um vor den Menschen sicher zu sein, steht als ein naturgemässes Gut Herrschaft und Königtum zur Verfügung, mit deren Hilfe man sich zuweilen jene Sicherheit verschaffen kann.
Manche wollten berühmt und angesehen werden und meinen, sich auf diese Weise die Sicherheit vor den Menschen verschaffen zu können. Ist nun das Leben solcher Menschen tatsächlich sicher geworden, so haben sie das naturgemässe Gut erlangt. Ist es aber nicht sicher geworden, so besitzen sie nicht, wonach sie ursprünglich der Natur entsprechend strebten.
Keine Lust ist an sich ein Übel. Aber das, was bestimmte Lustempfindungen erzeugt, bringt Beschwerden mit sich, die die Lustempfindungen um ein Vielfaches übersteigen.
Wenn die gesamte Lust sich verdichtete nach Raum und Zeit und in der gesamten Zusammensetzung vorhanden wäre oder doch in den hauptsächlichsten Teilen der Natur, dann würden die Lustempfindungen niemals voneinander verschieden sein.
Wenn das, was die Lustempfindungen der Schlemmer erzeugt, die Ängste des Denkens vor den Himmelserscheinungen, dem Tode und den Schmerzen verscheuchen könnte, und ausserdem die Grenze der Begierden lehrte, dann hätten wir keinen Grund, sie zu tadeln, wenn sie nämlcih allseitig nur von Lustempfindungen erfüllt wären und nirgendwoher Schmerzendes oder Betrübendes besässen, worin allein das Übel besteht.
Wenn wir nicht beunruhigt würden durch den Verdacht, es möchten uns die Himmelserscheinungen und der Tod irgend etwas angehen, ferner durch die Tatsache, dass wir die Grenzen von Schmerz und Begierde nicht kennen, dann bedürften wir der Naturwissenschaft nicht.
Es ist nicht möglich, sich von der Furcht hinischtlich der wichtigsten Dinge zu befreien, wenn man nicht begriffen hat, welches die Natur des Alls ist, sondern sich durch die Mythen beunruhigen lässt. Es ist also nicht möglich, ohne Naturwissenschaft ungetrübte Lustempfindungen zu erlangen.
Es nützt nichts, sich Sicherheit vor den Menschen zu verschaffen, während die Beunruhigung hinsichtlich der Dinge in der Höhe und unter der Erde und überhaupt im unbegrenzten Raume bestehen bleibt.
Mag auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grade zu erlangen sein durch eine fest gegründete Macht und durch Wohlhabenheit, so entsteht doch die reinste Sicherheit durch ein ruhiges und von der Menge abgesondertes Dasein.
Der naturgemässe Reichtum ist begrenzt und leicht zu beschaffen, der durch eitles Meinen erstrebte läuft dagegen ins Grenzenlose aus.
Nur in wenigem gerät dem Weisen der Zufall herein, das Grösste und Wichtigste aber hat die Überlegung geordnet und tut es während der ganzen Zeit des Lebens und wird es tun.
Das gerechte Leben ist von Unruhe am freiesten, das ungerechte aber ist voll von jeglicher Unruhe.
Sowie einmal das Schmerzende des Mangels beseitigt ist, mehrt sich die Lustempfindung im Fleische nicht mehr, sondern wird bloss mannigfaltiger. Die äusserste Grenze der Lust, die das Denken erkennt, wird aber erreicht durch die Aufklärung eben jener Dinge, die dem Denken die grössten Ängste bereiteten, und der damit verwandten Dinge.
Die unbegrenzte Zeit umfasst gleich viel Lust wie die begrenzte Zeit, wenn man die Grenzen der Lust durch Überlegung abmisst.
Für das Fleisch liegen die Grenzen der Lust im Unbegrenten, und es bedürfte unbegrenzter Zeit, um sie zu beschaffen. Das Denken aber, das die Einsicht in das Ziel und die Grenze des Fleisches erlangt und die Ängste hinsichtlich der Ewigkeit zerstreut hat, beschafft das vollkommene Leben und bedarf nicht mehr weiter der unbegrenzten Zeit. Doch flieht es weder die Lust noch endigt es, wenn die Ereignisse den Ausgang aus dem Leben zubereiten, so, als wenn ihm irgend etwas am vollkommenen Leben mangelte.
Wer die Grenzen des Lebens begriffen hat, weiss, dass jenes leicht zu beschaffen ist, was das Schmerzende des Mangels beseitigt und das gesamte Leben zu einem vollkommenen macht. Darum bedarf er keiner Veranstaltungen, die Kämpfe mit sich bringen.
Das bestehende Lebensziel muss man bedenken und jene ganze Evidenz, auf die wir die Meinungen zurückführen. Tun wir das nicht, so wird jedes Urteil unmöglich und alles voll von Unruhe sein.
Wenn du alle Sinneswahrnehmungen bestreitest, so besitzest du nichts, worauf du dich beziehen kannst, um jene zu beurteilen, die du für falsch erklärst.
Wenn du irgendeine Sinneswahrnehmung schlechthin verwirfst und keinen Unterschied machst zwischen der Vermutung, die noch der Bestätigung bedarf, und dem, was bereits als Wahrnehmung oder Empfindung oder als vorstellende Tätigkeit des Denkens überhaupt gegenwärtig ist, dann wirst du durch dein leeres Meinen auch die übrigen Sinneswahrnehmungen in Verwirrung bringen und damit jede Möglichkeit des Urteilens ausschliessen. Wenn du aber im meinenden Überlegen auch schon für gewiss hälst, was noch der Bestätigung bedarf, oder auch, was noch keine Nachprüfung erfuhr, zum Ungewissen rechnest, dann wird der Irrtum nicht ausbleiben, und jedes Urteil über richtig und unrichtig wird dauernder Diskussion unterworfen sein.
Wenn du nicht in jeder Lage dein gesamtes Handeln auf das natürliche Endziel zurückbeziehst, sondern vorher abbrichst, indem du dein Streben oder Meiden auf etwas anderes richtest, so werden deine Taten nicht deinen Worten entsprechen.
Alle jene Begierden, die nicht zu etwas Schmerzendem führen, wenn sie nicht erfüllt werden, gehören nicht zu den notwendigen, und das entsprechende Verlangen ist leicht wegzuschaffen, wenn es sich erweist, dass die Erfüllung schwer zu bewerkstelligen ist oder Schaden stiftet.
Von allem, was die Weisheit zur Glückseligkeit des ganzen Lebens bereit hält, ist weitaus das Grösste die Erwerbung der Freundschaft.
Es ist dieselbe Erkenntnis, die uns zuversichtlich macht darüber, dass nichts Schreckliches ewig oder auch nur lange Zeit dauert, und die begreift, dass in eben den begrenzten Dingen die Sicherheit vor allem durch die Freundschaft vollendet wird.
Von den Begierden sind die einen natürliche und notwendige, die andern natürliche, aber nicht notwendige, die dritten weder natürliche noch notwendige, sondern auf Grund leeren Meinens entstehend.
Wenn bei jenen natürlichen Begierden, die nicht zu Schmerzendem führen, wenn sie nicht erfüllt werden, dennoch das angespannte Bemühen bestehen bleibt, so sind sie aus leerem Meinen entstanden, und wenn sie sich nicht auflösen, so liegt dies nicht an der Natur, sondern am leeren Meinen des Menschen.
Die natürliche Gerechtigkeit ist eine Abmachung über das Zuträgliche, um einander gegenseitig weder zu schädigen ncoh sich schädigen zu lassen.
Für alle jene Lebewesen, die keine Verträge darüber schliessen konnten, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen, gibt es keine Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Ebenso auch bei den Völkern, die Verträge, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen, entweder nicht schliessen konnten oder nicht wollten.
Es gibt keine Gerechtigkeit an und für sich, sondern sie ist ein im gegenseitigen Verkehr an den beliebigsten Orten und Zeiten geschlossener Vertrag, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen.
Die Ungerechtigkeit ist nicht ein Übel an sich, sondern nur durch die misstrauische Angst, es möchte nicht gelingen, den dazu bestellten Züchtigern verborgen zu bleiben.
Wer heimlich sich vergeht gegen den Vertrag, einander gegenseitig weder zu schädigen noch sich schädigen zu lassen, der wird sich nie darauf verlassen können, dass er verborgen bleiben werde, auch wenn er im Augenblick tausendmal verborgen bleibt. Denn ob er es auch bis zum Tode bleiben wird, ist ungewiss.
Im Bezug auf das Gemeinwesen ist die Gerechtigkeit für alle dasselbe; denn sie ist ja das Zuträgliche in der gegenseitigen Gemeinschaft. Dagegen ergibt sich je nach den Verschidenheiten des Landes und der sonstigen Bedingungen nicht für alle dasselbe als gerecht.
Was unter dem, was für gerecht gehalten wird, sich auch tatsächlich als zuträglich erweist für die Bedürfnisse der geneseitigen gemeinschaft, das nimmt den Ort der Gerechtigkeit ein, mag es für alle dasselbe sein oder nicht. Erlässt aber einer ein Gesetz, das nicht zuträglich für die gegenseitige Gemeinschaft wirkt, dann hat dies nicht mehr die Natur der Gerechtigkeit. Und wenn das im Sinne des Zuträglichen Gerechte sich verändert, aber doch eine Zeit hindurch jener Vorstellung entsprach, so war es eben nichtsdestoweniger für jene Zeit gerecht für alle jene, die sich nicht durch leere Worte selbst verwirren, sondern auf die Tatsachen schauen.
Wo, ohne dass die Verhältnisse sich geändert hätten, das für gerecht Gehaltene in der Ausführung selbst sich als jener Vorstellung nicht entsprechend erweist, da ist es faktisch nicht gerecht. Wo aber nach Veränderung der Verhältnisse dieselben Rechtssätze nicht mehr zuträglich sind, da waren sie damals gerecht, als sie der gegenseitigen Gemeinschaft der Bürger zuträglich waren. Später aber waren sie nicht mehr gerecht, als sie nicht mehr zuträglich waren.
Wer sich gegen das Bedrohende in den äusseren Verhältnissen am besten zu rüsten versteht, der macht sich das, was er kann, zu Verbündeten; was er nicht zu Verbündeten machen kann, das macht er sich wenigstens nicht zu Fremden; was er nicht einmal so weit bringt, damit tritt er überhaupt nicht in Beziehung und stützt sich auf das, was zu solchem Tun nützlich ist.
Wer die Möglichkeit hat, sich die Zuversicht vor allem dem Nachbarn gegenüber zu verschaffen, der lebt mit den Seinigen zusammen auf die lustvollste Weise unter der sichersten Bürgschaft. Und wenn sie die vollste Vertrautheit gewonnen haben, jammern sie nicht über das vorzeitige Ende eines Abgeschiedenen, als ob er Mitleid verdiente.