Stenka Rasin

Aus Ugugu
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Kosakischer Anführer ; geboren etwa 1630 in Staniza Simoweiskaja-na-Donu als Stepàn Timofèjewitsch Rasin, gestorben 6. Juni 1671 in Moskau (hingerichtet)

Die gemachten Datumsangaben beziehen sich auf den Julianischen Kalender, der in Russland bis 1917 in Gebrauch war. Im Vergleich zum Gregorianischen Kalender hängt der Julianische zehn Tage hinten nach.

Dem Räuber-Revolutionär Stenka Rasin bewahren die russischen Bauern bis heute ein ehrendes und von zahlreichen Legenden umranktes Andenken. Nach Streifzügen gegen Krimtataren und Türken unternahm er 1667-1669 einen Raubzug an die persischen Küstengebiete des Kaspischen Meeres. Von 1670-1671 war er der Führer eines letztlichen erfolglosen antirussischen Volksaufstandes am unteren Don sowie an der unteren und mittleren Wolga.

1661

Die älteste über Stenka Rasin erhaltene Nachricht besagt, dass er 1661 auf eine Wallfahrt zum Solowezki-Kloster im Weissen Meer Moskau passierte. Danach kehrte er wieder zu den Donkosaken zurück.

1667

Stenka Rasin beabsichtigt, türkische Ortschaften am Schwarzen Meer zu plündern. Als ihm das nicht gelint, zieht er an der Spitze kühner Habenichtse den Don hinauf und raubt die Häuser wohlhabender Kosaken aus. Dort wo der Don der Wolga am nächsten kommt, gründet er ein befestigtes Lager. Die Possad-Bevölkerung von Woronesh versorgt ihn und seine Mannschaft mit Pulver und Blei gegen Geld erbeutete Waren. Obwohl die Behörden in Moskau informiert sind, ergreifen sie keine Massnahmen dagegen. Stenka inzwischen organisiert seine Leute, wie bei den Kosaken üblich, in Hundertschaften und Zehnmännergruppen. Die Gemeinschaft bildet gewissermassen eine wehrhafte Räuber-Republik, in der Stenka Rasin als Ataman den Oberbefehl innehat, während für gesetzgeberische Beschlüsse der "Ring", eine Art Landsgemeinde, zuständig ist.

Im Sommer 1667 baut Rasin ein zweites Lager an der Wolga und weiht es auch gleich durch einen sensationellen Überfall auf vorüberfahrende Schiffe ein. Die "Flotte", die ihm zum Opfer fällt, ist von Nischni Nowgorod nach Astrachan unterwegs. Auf einem der Schiffe befinden sich Gefangene, die deportiert werden sollen; Rasin lässt ihnen die Ketten abnehmen und setzt sie in Freiheit. Andere Fahrzeuge sind mit Getreide und sonstigen Gütern befrachtet; sie gehören zum Teil russischen Kaufleuten, zum Teil dem Patriarchen, und Stenka Rasin "expropriiert" sie. Die auf den Schiffen befindlichen Strelitzen leisten keinen Widerstand, auch dann nicht, als ihre Vorgesetzten getötet oder gefoltert werden. Den Schiffsknechten krümmt der Räuber kein Haar. "Ich bin nur gekommen", erklärt er, "die Bojaren und die reichen Herren zu schlagen; mit den armen und einfachen Leuten bin ich bereit, alles brüderlich zu teilen." Viele der befreiten Gefangenen wie auch der Matrosen und Büttel schliessen sich darauf Rasins Bande an, die inzwischen bereits über 35 Schiffe und 1'500 Bewaffnete verfügt.

Mit seiner Streitmacht fährt Stenka Rasin die Wolga hinab. Dem Wojwoden der Stadt Zarizyn (heute Stalingrad) jagt er einen ordentlichen Schrecken ein und zwingt ihn zur Lieferung aller für Schmiedearbeiten erforderlichen Werkzeuge. Auf seinem weiteren Weg begegnet er in der Nähe von Tschornyj Jar dem Wojwoden Beklemischew, der er plündert und auspeitschen lässt. Dann erreicht er das Kaspische Meer, fährt den Jaik-Fluss hinauf und erobert mit List die Stadt Jaitzkij Gorodok (Uralsk), wo er 170 Strelitzen hinrichten lässt. Die übrigen Soldaten erhalten freien Abzug, werden dann aber eingeholt und teils niedergemacht, teils in die Kosakenbande aufgenommen.

Im November 1667 erhält Stenka Rasin einen Brief des russischen Zaren Alexei I. Michailowitsch (1629-1676), der ihn ermahnt, von der Rebellion abzulassen und an den Don zurückzukehren. Der Ataman gibt eine ausweichende Antwort.

1668

Im Frühjahr 1668 fährt Stenka Rasin ins Kaspische Meer hinaus und plündert, zusammen mit anderen Piraten, die sich ihm angeschlossen haben, die Küste von Dagestan, wobei er verschiedene Städte (u. a. Derbent) vollkommen zerstört. Rasin versucht dann als Söldnerführer in die Dienste des persischen Schahs Safi II. (1647-1694) zu treten, entsprechende Unterhandlungen gehen jedoch erfolglos aus.

1669

Nach grausamer Brandschatzung weiterer Ortschaften besiegt Stenka Rasin eine persische Flotte, wobei er die schöne Tochter eines Chans erbeutet.

Am 25. August 1669 erscheint der Räuber plötzlich in Astrachan und erklärt, sich dem Befehl des Zaren zu unterwerfen und um Vergebung für seine Taten bitten zu wollen. Er deponiert seinen "Buntschuk" - den rosschweifgeschmückten Stab als Abzeichen seiner Befehlsgewalt - und alle Fahnen im Amtshaus, sichert die Auslieferung seiner Kanonen und die Freilassung sämtlicher Gefangenen zu. Er schickt eine Abordnung mit seinem Begnadigungsgesuch nach Moskau. Dann veranstaltet er grosse Gastmähler, um den Abschied vom Piratenleben würdig zu feiern. Während einer Vergnügungsfahrt auf der Wolga packt Rasin die neben ihm sitzende persische Prinzessin, die er zu seiner Geliebten gemacht hat, und wirft sie samt ihrem kostbaren Schmuck in den Fluss. "Nimm, Mütterchen Wolga", ruft er aus. "Viel Silber und Gold und Reichtum jeder Art hast du mir gegeben und Ehre und Ruhm mir zuteil werden lassen, ich aber habe dir noch nicht gedankt."

Am 4. September 1669 bricht Stenka Rasin mit seinen Kosaken auf, um gemäss dem Willen des Zaren an den Don zurückzukehren. Es scheint jedoch, dass er nicht ernstlich entschlossen war, sein Versprechen zu erfüllen; die Aussicht, sich wieder unter die "registrierten" Kosaken einzureihen und mit kargem Sold vorlieb nehmen zu müssen, war ja auch nur wenig verlockend. Zudem besteht noch keine Gewissheit darüber, ob der Zar die Anführer der Räuberbande würde straflos ausgehen lassen, wenn sie sich erst einmal aufgelöst hätte. Schon in Zarizyn gerät Rasin in heftigen Streit mit dem dortigen Wojwoden, weil dieser befohlen hat, von den durchreisenden Kosaken für Wein den doppelten Preis zu verlangen, um Orgien und Ausschreitungen zu verhüten. Über diese Verfügung empört plündern Rasins Kosaken ein aus Moskau kommendes Schiff und vernichten die darauf befindliche amtliche Post. Besonders zornig wird Stenka Rasin selbst, als man ihm zumutet, entlaufene Bauern, die sich im angeschlossen haben, auszuliefern. "Wie wagst du es", schreit er den Boten an, "mit solchem Auftrag mir vor die Augen zu treten? Noch nie ist es bei den Kosaken Brauch gewesen, seine Freunde preiszugeben. Sag deinem Wojwoden, dass ich vor ihm keine Angst habe, und auch vor denen nicht, die über ihm stehen. Mit diesem feigen Dummkopf werde ich noch abrechnen. Er will mich als Cholopen (Knecht, Sklave) behandeln, ich bin aber ein freigeborener Mensch. Alle diese Taugenichtse werde ich meine Macht noch fühlen lassen." Und sogleich nimmt er den revolutionären Kampf gegen die russische Staatsgewalt auf.

Zuerst gründet er auf einer im Don gelegenen Insel ein neues befestigtes Lager, das Städtchen Kagalnik. Dann beurlaubt er seine Leute für kurze Zeit, damit sie ihre Angehörigen besuchen un die gemachte Beute mit ihnen teilen können; denn bei den "proletarischen" Kosaken ist es üblich, dass diejenigen, die zuhause bleiben, den auf Raub und Abenteuer ausziehenden Kameraden Wegzehrung mitgeben und einen Beitrag an die Kosten der Bewaffnung stiften. Dafür revanchieren sich die Piraten durch Geschenke, wenn sie heimkommen, oder sie liefern die Hälfte ihrer Beute ab. Von der Fülle der gewonnenen Schätze beeindruckt stellen sich jetzt immer grössere Scharen unter Rasins Befehl.

1670

Im Frühjahr 1670 trifft eine Begnadigungsurkunde des Zaren Alexei I. Michailowitsch ein, doch will Stenka Rasin davon nichts mehr wissen; er widersetzt sich jeder Versöhnung mit Moskau und lässt den Überbringer des huldvollen Schreibens im Don ertränken.

Um diese Zeit beginnt Rasin auch gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche Propaganda zu machen, da ihm die Geistlichen, als Fürbitter des Zaren vor Gott, verdächtig erscheinen. Nicht dass der Ataman ein Feind der Religion wäre: später erachtet er es sogar für nötig, eine neue Wallfahrt nach dem Solowezki-Kloster zu unternehmen. Ihm liegt nur daran, den Einfluss der Geistlichkeit, dieser Hilfsorganisation der autokratischen Staatsgewalt, in seinem Machtbereich zu beseitigen. So lehrt er denn seine Leute: "Wir brauchen weder Gotteshäuser noch Popen (Pfarrer). Für die Trauung, meint ihr? Da ist doch alles gleich: stellt euch als Paar unter einen Baum, führt einen Tanz auf rund um ihn, dann seid ihr Mann und Frau." Solche Hochzeiten sollen auch wirklich stattgefunden haben.

Nachdem noch ein anderer berüchtigter Kosakenführer, Wasska Uss ("der Schnauzbart"), sich mit seiner Band Rasin angeschlossen hat, ziehen die jetzt etwa 7'000 Mann starken Rebellen - teils zu Schiff, teils zu Pferd - gegen Zarizyn. Rasin hat Anhänger in der belagerten Stadt, die ihm denn auch die Tore öffnen. Der Wojwode Turgenjew verschanzt sich mit wenigen Leuten in einem Turm, während die Stadtbevölkerung Trinkgelage zur Feier ihrer Verbrüderung mit den Kosaken veranstalten. Stark angeheitert erstürmt Stenka Rasin das vom Wjwoden noch gehaltene Fort; am folgenden Tag wird der unglückliche Statthalter an einem Strick zum Fluss geführt und hineingeworfen.

Nun gibt Stenka Rasin bekannt, dass er gegen Moskau ziehen will, um die Bojaren zu bekämpfen. Eine gegen ihn heranrückende Abteilung von 1'000 Strelitzen besiegt er mühelos. Die Hälfte dieser Truppen wird getötet, der Rest gefangengenommen und für den Ruderdienst auf den Schiffen der Kosaken verwendet. Den so versklavten Soldaten wird erklärt: "Ihr kämpft für Verräter (für den Adel), und nicht für den Zaren; wir aber kämpfen für den Zaren." Diese Formulierung ist ungemein charakteristisch für die naive politische Ideologie von Stenka Rasins Freiheitskämpfern: Dass das Reich unter der Herrschaft eines Zaren stehen muss, gilt ihnen als selbstverständlich. Für das ganze Land ein demokratisch-republikanisches Regime zu errichten kommt niemandem in den Sinn.

Um nicht zwischen zwei Feuer zu geraten, entschliesst sich Rasin, vor seinem ZUg gegen Norden die Stadt Astrachan an der Wolgamündung zu erobern. Er entsendet dorthin seine Agenten, die ihm melden, dass ein Grossteil der Bevölkerung mit den Kosaken sympathisiere. Unterwegs stösst Rasin mit etwa 3'000 Strelitzen zusammen, die jedoch sofort zu den Rebellen übergehen und ihre eigenen Offiziere fesseln. Rasin wird eine begeisterte Ovation bereitet und hält eine Ansprache. Er verheisst ihnen "ein Leben in Freiheit und Wohlstand". Während man seine Worte bejubelt, werden die entwaffneten Offiziere getötet. In Astrachan selbst trifft inzwischen der Wojwode, Fürst Prosorowskij, für den Fall einer Belagerung alle nötigen Massnahmen. Dass auf seine Soldaten kein Verlass ist bleibt ihm nicht verborgen. Um ihre Stimmung zu heben, zahlt er ihnen aus der Kasse des Metropoliten und eines Klosters schöpfend, alle Soldrückstände aus. Dann ermahnt er auch die angesehenen Bürger der Stadt, sich tapfer zu schlagen. Auf eine erfolgreiche Verteidigung der Stadt hofft er wohl selbst nicht mehr. Am 24. Juni 1670 wird Astrachan von den Kosaken genommen. Die unteren Schickten der Stadtbevölkerung haben die Angreifer aktiv begünstigt. Es folgt ein furchtbares Blutbad. Den Wojwoden stürzt Rasin von einem hohen Tumr hinab. Auf ähnliche Weise tötet man auch seinen ältesten Sohn. In ein Massengrab werden 441 Leichen geworfen. Das Vermögen der Besitzenden wird auf einem grossen Platz zusammengetragen und unter die Kosaken gleichmässig verteilt. Auch die Habe der fremden (bucharischen, indischen) Kaufleute wird beschlagnahmt. Frauen und Töchter der erschlagenen Adeligen und Beamten lässt Rasin mit Kosaken verheiraten, wobei er offenbar eine Art Ziviltrauung einführt ("nicht mit dem Siegel des Bischofs, sondern mit dem Siegel des Atamans"). Alle Akten, deren Rasin in den öffentlichen Gebäuden habhaft werden kann, lässt er verbrennen, und er erklärt, dass er dasselbe dereinst auch in Moskau im Zarenpalast machen werde.

Die Bevölkerung von Astrachan wird, wie schon zuvor die von Zarizyn, nach Kosakenart in Tausendschaften, Hundertschaften und Zehnmännergruppen aufgeteilt. Sie erhält auch das Recht, alle Selbstverwaltungsorgane einzurichten, die bei den Kosaken üblich sind. Jene Formen der Demokratie, die sich "in der Steppe" bewährt haben, eignen sich allerdings nicht ohne weiteres für Kaufleute, Handwerker und Beamte. Während man diese Neuerungen provisorisch aufbaut, herrscht in der Stadt ein blutiger Terror. Stenka Rasin gibt dem Volk Gelegenheit, mit jedem, der unbeliebt war, abzurechnen. Ein Teil des Bürgertums von Astrachan wird regelrecht ausgerottet. Schwer büssen die Nutzniesser der Korruption. Die einen Opfer ertränkt man, anderen wird auf offener Strasse die Kehle durchschnitten. Da man sehr summarisch vorgeht, kommen natürlich auch Unschuldige um. Den Metropoliten lässt man am Leben, obwohl er mit dem Wojwoden Prosorowskij befreundet gewesen ist und ihn auch politisch unterstützt hat; der hohe geistliche Würdenträger muss Rasin und andere Kosakenführer zu einem Bankett einladen.

Ende Juli 1670 verlässt Stenka Rasin die Stadt Astrachan, nachdem er Wasska Uss zum Platzkommandanten mit ausserordentlichen Vollmachten ernannt hat. Auf 200 Schiffen führt er rund 8'000 Mann die Wolga hinauf, während ihm zu Lande noch etwa 2'000 Reiter folgen. Von Zarizyn aus schickt er einen Teoils einer gewaltigen Beute ins Don-Gebiet, um auch die übrigen Kosaken durch die Früchte des Sieges zu erfreuen. Dann bemächtigt er sich der Stadt Saratow, lässt auch hier den Wojwoden ertränken, die Adeligen und die Beamten erschlagen, die übrigen Einwohner nach kosakischem Statut organisieren. Im ganzen Gebiet der mittleren Wolga werden die Bauern durch Sendboten zur Erhebung gegen die Bojaren aufgerufen. Von allen Seiten hat Rasins Armee jetzt grossen Zulauf.

Anfang September 1670 rückt Stenka Rasin an die Stadt Simbirsk heran. Trotz blutigen Kämpfen gelingt es ihm nicht, mehr als nur die Vorstädte dieser Festung zu nehmen. Die inneren Befestigungen behaupten sich, bis aus Kasan Verstärkungen ankommen. Am 4. Oktober 1670 wird Stenka Rasin von den Truppen des Wojwoden Barjatinskij aufs Haupt geschlagen. Die Kosaken fahren auf ihren Schiffen wieder flussabwärts, wobei sie viele Bauern, die sich ihnen angeschlossen haben, im Stich lassen. Mehr als 600 solche Rebellen werden auf Barjatinskijs Befehl gevierteilt, gehängt oder erschossen.

Unterdessen hat die von Rasin betriebene Aufruhrpropaganda jedoch schon erhebliche Wirkungen gezeitigt. Sein Programm ist sehr einfach und für ausgebeutete Cholopen sehr einleuchtend. Er wolle nicht etwa selbst Zar werden, erläutert Rasin, sondern er wolle mit allen Leuten brüderlich zusammenleben. Es handle sich darum, die Bojaren, die adeligen Gutsherren, die Beamten zu vernichten, Willkür und Korruption zu beseitigen, die Staatsgewalt zu brechen und überall in Russalnd im Rahmen kosakischer Gemeinschaften die Gleichheit aller zu verwirklichen. Flugblätter solchen Inhalts werden in den Dörfern verbreitet. Die Agitation der Bewegung Rasins erfasst vor allem die Gegend von Nischni Nowgorod, Tambow und Pensa; schwächere Ausstrahlungen machen sich in der Nähe von Moskau, von Gross-Nowgorod und sogar an der Küste des Weissen Meeres bemerkbar. Ganze Provinzen, hauptsächlich, die zwischen Oka und Wolga gelegenen Gebiete, werden von offenem Aufruhr erfasst. Vielerorts rotten sich die Bauern zusammen, ohne die Ankunft der Kosaken abzuwarten, um die Gutsbesitzer, ihre Angehörigen und ihre Verwalter zu erschlagen. In manchen Städten und Flecken brechen lokale Revolutionen aus; Wojwoden und Beamte, gegen die seitens der ärmeren Bevölkerung Klage geführt wird, bringt man um, während andere, denen man gerechte und saubere Amtsführung nachrühmt, geschont und in Schutz genommen werden.

Weil man die Fiktion, dass die Erhebung sich nicht gegen den sanften Zaren Alexei I. Michailowitsch, sondern bloss gegen seine Bojaren richte, schliesslich fallenlassen muss und die Idee einer Republik dem Geiste des Volkes völlig fremd ist, bleibt nichts anderes übrig, als wieder einmal einen falschen Zarewitsch (Zarensohn), einen "Samoswanjez" auszurufen. Am 17. Januar 1670 ist ein Sohn des regierenden Zaren, Alexei Alexeiewitsch, gestorben. Bereits 1666 war der seit 1658 zum Rückzug veranlasste der Patriarch Nikon (1605-1681) seiner Würde verlustig erklärt und verbannt worden. Es wird also die Nachricht ausgestreut, dass der Zarewitsch den Nachstellungen seines bösen Vaters und der Bojaren entronnen sei und sich nun, gleichzeitig mit Nikon, den Kosaken angeschlossen habe. Stenka Rasin wolle, so heisst es jetzt, die Verbrecher in Moskau bestrafen und den unschuldig verfolgten Zarewitsch auf den Thron bringen. Einmal gekrönt werde Alexei Alexeiewitsch die gerechten Forderungen der Kosaken erfüllen und ihr Programm, mit Nikons Unterstützung, auf legitimem Wege durchführen. Die Flotte Stenka Rasins bekommt zwei Sonderschiffe, eines wird mit rotem, das andere mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, und man erzählt, dass sich auf dem roten der Zarewitsch, auf dem schwarzen der Patriarch befindet. Ein junger Kosak wird gezwungen, die Rolle des Pseudo-Zarewitsch zu spielen und eine Zeitlang hat diese Inszenierung ganz guten Erfolg.

Von Simbirsk aus stösst ein Kosakenheer in westlicher Richtung vor. Unter dem Befehl von Mischka Charitonow dringt es in Korsun ein, dessen Bewohner sich der Rebellion sofort anschliessen. Im Städtchen Saransk leistet ein Wojwode erheblichen Widerstand, doch wird dieser gebrochen und von den Siegern mit einem Blutbad bestraft. Um Pensa brauchen die Kosaken nicht zu kämpfen, da die Bevölkerung ihnen die Tore öffnet. Nehmen die Insurgenten eine Ortschaft in Besitz, so spielen sich stets dieselben blutigen Szenen ab. Die Streitmacht der Aufständischen wächst, denn überall, wo sie hinkommen, bieten sie aus jedem Hof mindestens einen Mann zu bewaffnetem Dienst auf. Ausser dem von Charitonow angeführten haufen gibt es noch andere, aus Kosaken und Bauern gemischte Trupps, die zwischen Saratow, Simbirsk, Nischni Nowgorod und Schazk operieren. Am Kampf der Untertanen gegen die Staatsgewalt beteiligen sich ausserdem da und dort halbrussifizierte Tataren, Tscheremissen, Tschuwaschen und Mordwinen.

Es zeigt sich jedoch bald, dass die Rasinsche Revolution über gewisse Grenzen hinaus nicht vorzustossen vermag. Am stärksten ist sie in den südostlichen Randgebieten des Russischen Reiches, weil die unzufriedenen Elemente der Bevölkerung sich vorwiegend in diese Gebiete zurückgezogen haben. Umso geringere Unterstützung findet nun der Aufruhr im Innern des russischen Terrotoriums. Sogar die am unteren Don in Tscherkassk und Umgebung angesiedelten Kosaken verhalten sich regierungstreu, nachdem ihnen Land zugeteilt und auch Sold ausbezahlt worden ist. Stenka Rasins Bruder Frolka versucht, den Aufruhr am Don flussaufwärts voranzutreiben, er wird aber schon bei Korotojak aufgehalten. Ebenso scheitert ein in nördlicher Richtung unternommener Kosakenzug, der nicht über Ushna hinauskommt. Noch weiter nördlich allerdings, am Weissen Meer, bildet das Solowezki-Kloster während längerer Zeit ein nicht unbedeutendes Zentrum und einen Zufluchtsort der Insurgenten.

Die Regierung in Moskau hat grosse Mühe, der von Stenka Rasin entfesselten Bewegung Herr zu werden. Mobilisierte Soldaten und Offiziere können ihre Sammelpunkte oft nicht erreichen, weil sie von aufständischen Bauern, die die Landstrassen überwachen, abgefangen werden. Letzten Endes gelingt es aber einigen Generälen (Dolgorukij, Schtscherbatow, Leontjew, Barjatinskij und anderen), durch zweckmässig koordinierte Feldzüge und erfolgreiche Schlachten den Aufruhr zu ersticken. Überall werden die Anhänger des Umsturzes furchtbar bestraft. Etwa 100'000 Bauern und Kosaken sollen wahllos umgebracht worden sein. In dieser Zahl sind diejenigen, die nach regelrechtem Prozess verurteilt und hingerichtet wurden, nicht inbegriffen. Viele Tausende werden verstümmelt oder geknutet. Unter dem Eindruck dieses "weissen Terrors" verlieren viele Rebellen den Mut und die Begeidterung der Massen für Stenka Rasin nimmt ab. Als er sich längs der Wolga nach Süden zurückzieht, wird ihm das Betreten der Stadt Samara nicht mehr gestattet, und auch an den Toren von Saratow wird er abgewiesen. Erst in Zarizyn hat er Gelegenheit, seine Wunden pflegen zu lassen. Ende 1670 erreicht er mit wenigen Getreuen das Städtchen Kagalnik.

1671

Im Februar 1671 versucht Stenka Rasin erfolglos das Lager der regierungstreuen Kosaken, Tscherkassk, zu erobern. Erbittert darüber, dass das Glück seinen Fahnen nicht merh hold ist, behandelt Rasin seine Feinde nun grausamer denn je; er soll viele Personen lebendigen Leibes in einem Ofen verbrannt haben.

Mitte April 1671 wird Stenka Rasin von regierungstreuen Kosaken überrumpelt und gefangengenommen. Einige seiner gleichzeitig ergriffenen Mitkämpfer werden sofort gehenkt. Stenka dagegen wird nach Moskau gebracht. Ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben, übersteht er die entsetzlichste Folter, jede Aussage tapfer verweigernd. Man verurteilt ihn zum Tode durch Vierteilung. Die Hinrichtung findet am 6. Juni 1671 statt.

Stenka Rasins Bruder Frolka wird ebenfalls nach Moskau geführt. Während der Tortur bricht er zusammen und erklärt sich bereit, die Fragen, die man ihm stellt, zu beantworten. Er wird noch ein zweites Mal auf die Folter gespannt, jedoch anscheinend nicht hingerichtet; er soll vielmehr zu lebenslänglichem Kerker begnadigt worden sein.

Als letzter Stützpunkt des grossen Bauernaufstands befindet sich Astrachan noch immer in der Hand der Revolutionäre. Auf die Nachricht von den Misserfolgen Stenka Rasins flackert hier der Terror noch einmal auf. Zarentreuer Gesinnung verdächtigte Leute werden ermordet. Nachdem der Metropolit den Aufständischen rät, sich zu ergeben, wird er abgesetzt; er wird gefoltert und schliesslich vom Glockenturm seiner Kathedrale in die Tiefe gestürzt. Am 26. November 1671 wird Astrachan nach dreimonatiger Belagerung von den Regierungstruppen unterworfen. Merkwürdigerweise lässt man die am Aufstand beteiligten Personen zunächst auf freiem Fuss. Erst im Sommer 1672 trifft aus der Hauptstadt ein Kommissar ein, der Verhaftungen vornehmen und Prozesse einleiten lässt. Bald wird auch Astrachan das Schauspiel einiger Hinrichtungen geboten.

Nachdem die Bewegung Stenka Rasins durch das herrschende Regime liquidiert worden ist, versinken die russischen Bauern weiterhin in immer noch tieferes Elend. Nicht ohne Grund hat man noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in manchen Dörfern Russalnds die "Wiederkunft" Rasins wie die eines Messias sehnsuchtsvoll erwartet. Das Andenken Rasins hat sich an der Wolga in Heldenliedern (Bylinen) erhalten.