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| Der russische Schriftsteller <b>Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij</b> (1821-1881) gehört mit seiner neuartigen psychologischen Erzählweise und der philosophischen Komplexität seines Romanwerkes zu den bedeutendsten Autoren der Weltliteratur. Neben <b>Leo Tolstoi</b> (1828-1910) gilt er als der bedeutendste russische Naturalist. Grossen Einfluss übte Dostojewskij insbesondere auf <b>Maxim Gorki</b>, <b>Friedrich Nietzsche</b> und den deutschen Naturalismus aus.
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| Während der Zeit seiner Verbannung nach Sibirien kam Dostojewskij zur Überzeugung, dass allein das Volk die christliche Wahrheit unverfälscht hüte, während sie den Intellektuellen durch Anschluss an die westeuropäische Entwicklung verloren gegangen sei. Seine Aufenthalte in Westeuropa zwischen 1863 und 1871 bestärkten ihn in diesem Glauben. Dostojewskij setzte sich danach für einen idealen patriarchalischen Zarismus ein und vertrat panslawistische Ansichten.
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| Stilistisch und dramatisch knüpfte er zunächst an <b>Nikolai Gogol</b> (1809-1852) an. In seinen grossen Romanen sind die unterdrückten, leidenden Menschen seiner Heimat die Helden und werden zu Märtyrern der Menschheit gemacht. Die meisten Romane führen den Leser in eine Welt des Elends der Zuchthäusler und Verbrecher. Religiös-philosophische Themen finden sich in seinen Werken ebenso, wie politisch-gesellschaftliche Ideen. Dostojewskij gibt in seinen Romanen nicht nur ein klares Bild der Aussenwelt, sondern durchleuchtet auch die menschliche Seele mit all ihren Abgründen.
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| ==Biographie==
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| Die folgenden Kalenderdaten folgen dem Julianischen Kalender, der in Russland bis zur Revolution 1917 in Gebrauch war. Während des 19. Jahrhunderts folgte er dem Gregorianischen Kalender in einem Abstand von 12 Tagen.
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| Die Transkription russischer Namen ist leider nicht einheitlich.
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| ===1821===
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| * <b>30. Oktober:</b> Geburt von Fjodor Michailowitsch Dostojewskij als zweites von sieben Kindern in einem Nebengebäude des Maríjinskij-Armenhospitals in Moskau, wo sein Vater (ein ehemaliger Militärarzt) als Arzt tätig ist. Taufe nach russisch-orthodoxem Ritus. Kindheit und Jugend vorwiegend in Moskau. Bereits in seiner Kindheit leidet Fjodor an epileptischen Anfäl
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| len.
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| ===1831 - 1837===
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| Fjodor und sein älterer Bruder Michail (geboren 1820) besuchen gemeinsam die Grundschule in Moskau.
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| ===1831===
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| Dostojewskij erlebt im Moskauer Theater eine Aufführung von Schillers <i>Die Räuber</i>.
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| ===1834===
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| Der Vater kauft ein Landgut im Gouvernement Tula, das aus den beiden Dörfern Tschermáschnaja und Darovóje besteht. Zum Gut gehören etwa hundert männliche Leibeigene.
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| ===1837===
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| * <b>27. Februar:</b> Tod der Mutter an Schwindsucht.
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| Der Vater gibt alsbald seine Tätigkeit im Krankenhaus auf und zieht sich auf sein Gut nach Darovóje zurück, um als typischer Gutsbesitzer zu leben - als Wüstling, Trunkenbold und Tyrann.
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| ===1838 -1841===
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| Fjodor wird als 17jähriger in die Pionierschule in St. Petersburg aufgenommen. Sein Bruder Michail bezieht eine gleichartige Schule in Reval (Estland; heute Tallinn).
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| Fjodor interessiert sich in St. Petersburg mehr für Literatur als für das Pionierwesen oder seine reicheren Kameraden, darunter viele Polen und Baltendeutsche, mit denen ihn nichts verbindet. Eine vernichtende Beschreibung dieser Kameraden gibt er später in seinen <i>Aufzeichnungen aus einem Kellerloch</i> (1864). Von den russischen Klassikern verehrt er Puschkin abgöttisch, ist aber vor allem von Gogol und Lermontov angetan. Er lernt auch eine Reihe ausländischer Autoren gut kennen, darunter Shakespeare, Byron, Balzac, George Sand, Dickens, Victor Hugo, E. T. A. Hoffmann, Goethes "Werther" und "Faust" und ganz besonders Schiller. "Ich habe Schiller auswendig gelernt", schreibt er seinem Bruder Michail, "ich redete von ihm, ich schwärmte von ihm, und ich glaube, dass das Beste, was das Schicksal mir in meinem Leben angetan hat, das war, dass es mir zur Kenntnis dieses grossen Dichters verhalf."
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| Erste dramatische Versuche unter dem Einfluss Schillers und Puschkins: <i>Maria Stuart</i> und <i>Borís Godunóv</i>.
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| ===1839===
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| * <b>Juni:</b> Aufgrund brutaler Misshandlungen wird der Vater von seinen eigenen Leibeigenen auf seinem Gut Chermashnya erschlagen.
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| ===1842===
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| Dostojewskij wird zum Leutnant befördert.
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| ===1843===
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| Dostojewskij bricht das Studium an der Pionierschule in St. Petersburg ab und nimmt eine Stelle als Technischer Zeichner im Kriegsministerium an. Er übersetzt Balzacs <i>Eugenie Grandet</i> ins Russische.
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| ===1844===
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| Dostojewskij verlässt seine Stelle im Kriegsministerium, mietet sich eine Wohnung in St. Petersburg und beginnt als freier Schriftsteller zu leben. Er übersetzt George Sand's <i>La derniere Aldini</i>. Zusätzlich arbeitet er an seiner ersten Novelle, <i>Arme Leute</i>.
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| ===1845===
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| Freundschaft mit dem liberalen Vissarión Grigorievich Belínskij, Russlands einflussreichstem Kritiker. Nach der Lektüre von <i>Arme Leute</i> erklärt dieser Dostojewskij: "Die Wahrheit ist Ihnen kund und offenbar geworden wie ein grosses Geschenk. Halten Sie dieser Gabe die Treue, und Sie werden ein grosser Schriftsteller werden."
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| Bekanntschaft mit Nikoláj Nekrásov und Iván Turgénev.
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| ===1846===
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| Veröffentlichung von Dostojewskijs Erstlingswerk, dem Briefroman <i>Arme Leute</i>, die unglückliche Liebesgeschichte zwischen einem ältlichen Beamten und einer jungen Frau. Grosser Erfolg beim Petersburger Publikum. Dostojewskij wird mit einem Schlag berühmt. Der führende russische Literaturkritiker Wissarion Grigorijewitsch Belinskij nennt das Buch "das Werk eines Genies". Deutlich ist im Roman der Einfluss Gogols zu spüren, den Dostojewskij in der Nachfolge der so genannten natürlichen Schule einseitig als Mitleid erweckenden Schilderer sozialen Elends fehlinterpretiert. Die Gogolsche Ironie dagegen kommt in <i>Arme Leute</i> nicht zum Tragen.
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| Zwei Wochen später erscheint in Krajevskijs Monatsschrift <i>Otetschestvennje sapiski</i> [dt. Vaterländische Notizen] die Erzählung <i>Der Doppelgänger</i>. Damit beginnt eine Reihe von Prosatexten, die - zumeist vor der nebulösen Atmosphäre des europäisierten Sankt Petersburg - das Ringen des Menschen um Identität beschreiben. Nicht nur der sprechende Name des Protagonisten (golod: Hunger; golyj: nackt, kahl) ist hierfür Programm. Die Abenteuer des Herrn Goljadkin sind allerdings noch stark der Tradition Gogols verpflichtet. Kritiker und Publikum sind jetzt enttäuscht. Nur Belinskij lobt die "untadelige Kunstgerechtigkeit" der Sprache des Helden, warnt Dostojewskij aber auch davor, sich auf Kosten der Kunst in pathologische Zergliederungen einzulassen.
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| Veröffentlichung der Erzählung <i>Herr Prochártschin</i>.
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| * <b>Sommer:</b> Aufenthalt Fjodors in Reval in der Familie seines Bruders Michail.
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| Erster Kontakt zum revolutionären Kreis des utopischen Sozialisten M. V. Butashevich-Petraschewskij.
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| * <b>30. Oktober:</b> Anna Grigorievna Snitkina (Dostojewskijs zukünftige Frau ab 1867) wird in St. Petersburg geboren.
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| ===1847===
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| Bruch mit Belínskij. Veröffentlichung von <i>Eine Novelle in neun Briefen</i> und der Kurzgeschichte <i>Die Wirtin</i>.
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| Dostojewskij tritt Petraschewskijs revolutionärer Geheimorganisation bei, die unter dem Einfluss Belinskijs und des französischen Theoretikers Charles Fourier einen utopischen Sozialismus propagiert.
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| ===1848===
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| Veröffentlichung der Kurzgeschichte <i>Ein schwaches Herz</i> und des sentimentalen Romans <i>Helle Nächte</i>. Weitere Veröffentlichungen: <i>Polsunkov</i>, <i>Weihnachtsbaum und Hochzeit</i>, <i>Der ehrliche Dieb</i>, <i>Ausser Dienst</i>, <i>Der eifersüchtige Gatte</i>, <i>Die fremde Frau und der Mann unter dem Bett</i>.
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| Dostojewskijs Bruder Michail veröffentlicht seine Übersetzung von Schillers <i>Don Carlos</i>.
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| ===1849===
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| Veröffentlichung des zur Erzählung umfunktionierten Romanfragments <i>Netoschka Neswanowa</i>. All den Werken seit dem Debütroman <i>Arme Leute</i> ist nur wenig Erfolg beschieden.
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| * <b>23. April:</b> Dostojewskij wird in St. Petersburg verhaftet, nachdem ein eingeschleuster Polizeispitzel die Treffen der Geheimorganisation um den utopischen Sozialisten Michail Wassiljewitsch Petraschewskij verraten hat.
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| Während der Haft in der Peter-Pauls-Festung schreibt Dostojewskij die frische und ruhig-klare Geschichte <i>Ein kleiner Held</i>, die aber erst 1857 veröffentlicht wird.
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| * <b>September:</b> 28 der verhafteten "Rebellen" werden vor ein Kriegsgericht gestellt und 15 von ihnen (darunter Dostojewskij) zum höchsten Strafmass verurteilt.
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| * <b>22. Dezember:</b> Schein-Hinrichtung in St. Petersburg. Auf der Hinrichtungsstätte wird Dostojewskij die Umwandlung des Todesurteils in vierjährige Zwangsarbeit in Sibirien verkündet. Begnadigung durch den Zaren in Form einer Strafmilderung: Vier Jahre Zwangsarbeit und vier Jahre Militärdienst in Sibirien.
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| * <b>24. Dezember:</b> Dostojewskij und seine Gefährten werden in Ketten nach Sibirien in Marsch gesetzt. Auf dem Weg machen die "petraschevzy" auch in Tobolsk halt, wo sie von einigen Dekabristenfrauen besucht werden. Eine dieser adeligen Frauen, Mme Fonvisina, schenkt Dostojewskij ein Exemplar des <i>Neuen Testaments</i>.
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| ===1850 - 1854===
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| Dostojewskij verbringt vier Jahre in einem Arbeitslager in der Festung Omsk (West-Sibirien). Dazu trägt er etwa fünf Kilo schwere Ketten an den Beinen.
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| ===1853===
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| Erste schwerere epileptische Anfälle.
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| ===1854===
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| Dostojewskij wird aus dem Zuchthaus Omsk entlassen und als Soldat zum Militärdienst in einem Linien-Bataillon nach Semipalátinsk (Südwest-Sibirien) nahe der Grenze zur Mongolei abkommandiert.
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| * <b>22. Februar:</b> Fjodor schreibt in einem Brief an seinen Bruder Michail über seine Mitgefangenen in der Katorga: "Sie sind brutale, zornige, verbitterte Menschen. Ihr Hass auf den Adel ist grenzenlos; sie betrachten uns alle, die wir dazugehören, mit feindseliger Abweisung. Sie würden uns auffressen, wenn sie könnten. Urteile nun selbst, in welcher Gefahr wir schwebten, während wir unser Leben mit diesen Menschen gemeinsam verbringen mussten, mit ihnen essen, neben ihnen schlafen, und ohne irgendeine Möglichkeit, uns über das Unrecht zu beschweren, das uns ständig angetan wurde ... Einhundertfünfzig Widersacher, die niemals müde wurden, uns zu verfolgen - das war ihr Spass, ihre Ablenkung, ihr Zeitvertreib ... Unser einziger Schild war unsere Indifferenz und unsere moralische Überlegenheit, die sie gezwungen waren anzuerkennen und zu respektieren."
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| * <b>März:</b> In einem Brief an Mme Fonvisina, die ihm 1850 in Tobolsk das <i>Neue Testament</i> geschenkt hatte, schreibt Dostojewskij: "Ich kann von mir selbst sagen, dass ich ein Kind meiner Zeit bin, ein Kind des Unglaubens und des Skeptizismus; ich bin es bis jetzt gewesen und weiss, dass ich es bis an mein Grab bleiben werde. Wie viele Leiden hat mich dieser Durst nach Glauben schon gekostet und wie viele kostet er mich noch; er ist um so stärker in meiner Seele, je mehr Argumente ich gegen ihn habe." Er schreibt, sein Trachten und Sehnen sei dennoch von Christus bestimmt, denn "es gibt nichts Schöneres, nichts Tieferes und Mitfühlenderes, nichts Besonneneres, Menschlicheres und Vollkommeneres als Christus ... Wenn irgend jemand mir bewiese, dass Christus ausserhalb der Wahrheit stand, und es wirklich so war, dass die Wahrheit ausserhalb von Christus war, so würde ich lieber bei Christus bleiben als bei der Wahrheit."
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| * <b>Herbst:</b> Der junge Baron A. E. Wrangel kommt als Bezirks-Staatsanwalt nach Semipalatinsk. In ihm findet Dostojewskij einen Bewunderer seines literarischen Talents und einen wirklichen Freund.
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| ===1856===
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| * <b>Herbst:</b> Dostojewskij wird zum Unterleutnant (Fähnrich) befördert, dem niedrigsten Unteroffiziersgrad.
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| * <b>6. Februar:</b> Heirat mit der verwitweten Marija Dmitrievna Isajeva in Kusnezk.
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| Veröffentlichung von <i>Ein kleiner Held</i> (geschrieben 1849).
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| ===1858===
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| * <b>Dezember:</b> Der Zar erlaubt dem Ehepaar Dostojewskij auf sein Gesuch hin die Rückkehr ins europäische Russland. Dostojewskij hat sich inzwischen vom atheistischen Sozialisten zum gläubigen Christen gewandelt, was später für die Läuterungsthematik des Romans <i>Schuld und Sühne</i> (1866) bestimmend wird.
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| ===1859===
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| * <b>Juli:</b> Dostojewskij scheidet aus dem Militärdienst aus und siedelt sich mit seiner Familie zunächst in Tverj (heute Kalinin) an.
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| Veröffentlichung der in Sibirien verfassten Erzählung <i>Onkelchens Traum</i>, ein Werk von "wahrhaft taubengleicher Sanftmut" (Dostojewskij), das deutlich die Furcht des ehemaligen Häftlings vor Repressionen und Zensurmassnahmen widerspiegelt.
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| Veröffentlichung des Zeitschriftenromans <i>Das Dorf Stepántschikovo und seine Bewohner</i>.
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| ===1860===
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| Zusammenarbeit mit Nikoláj Stráchov und Apollón Grigórjev.
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| ===1861===
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| * <b>Januar:</b> Michail und Fjodor gründen die Zeitschrift <i>Vrémja</i> (dt. Zeit).
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| Veröffentlichung des ersten Teils von <i>Aufzeichnungen aus einem Totenhaus</i> in der Zeitschrift <i>Vrémja</i>. Die Aufzeichnungen nehmen direkt auf Dostojewskijs Aufenthalt im Arbeitslager Bezug. Autobiographische Wahrheit und Dichtung vermischen sich hier zu einem unentwirrbaren Geflecht. Der Text ist weniger als sozialkritisches Dokument der unmenschlichen Haftbedingungen im zaristischen Russland zu lesen, sondern als eine Darstellung menschlicher Grenzsituationen, für die die sadistische und unwirtliche Hölle Sibiriens nur mehr eine eindringliche Metapher ist. Das von antisemitischen Ressentiments geprägte Buch wird ein grosser Erfolg: selbst die Dostojewskij-Skeptiker Turgenjew und Tolstoj lobten es überschwänglich. Spätere Darstellungen von russischen Straflagern (wie Aleksandr Solschenizyns <i>Der Archipel GULAG</i>, 1973-1975) wurden von ihm stark geprägt. Mit ihrem zum existentiellen Modell geformten Sujet beeinflussten die Aufzeichnungen später zahlreiche Werke der modernen Literatur, darunter Franz Kafkas <i>In der Strafkolonie</i> (1914).
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| Bekanntschaft mit Apollinaria (Polína) Súslova, die eigene Beiträge an die Zeitschrift <i>Vrémja</i> einsendet. Dostojewskij verfällt ihr bald ganz.
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| Dostojewskij versucht seinen literarischen Ruf wieder zu festigen. Bekanntschaft mit Gontscharow, Cernisevskij, Dobroljubow, A. Ostrovskij, Saltykov-Scedrin.
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| Veröffentlichung des melodramatisch-sozialkritzschen Romans <i>Die Erniedrigten und die Beleidigten</i> in der Zeitschrift <i>Vrémja</i>. Das Werk greift zahlreiche Momente des Frühwerks - Entwurzelung, Wahnsinn, Krankheit usw. - wieder auf. Gleichzeitig weist es durch seine differenziertepsychologische Erzählstrategie bereits auf die späten philosophischen Romane hin. Einmal mehr dient Sankt Petersburg dem Panslawisten Dostojewskij als Mikrokosmos, um den Zusammenhang von Elend, Verbrechen und westeuropäischer Dekadenz aufzuzeigen. Die Figuren wandeln hilflos "in den dunklen, verschwiegenen Winkeln der grossen Stadt" herum. Die "unerträgliche Hölle" der Sinnlosigkeit und Unmoral wird offenbar.
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| ===1862===
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| Der zweite Teil von <i>Aufzeichnungen aus einem Totenhaus</i> und <i>Eine dumme Geschichte</i> werden in der Zeitschrift <i>Vremja</i> veröffentlicht.
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| * <b>Juni:</b> Dostojewskij macht seine erste Auslandreise und besucht mehrere westeuropäische Länder, darunter England (London), Frankreich (Paris), die Schweiz (Genf) und Italien. Zusammentreffen mit Alexander Herzen.
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| ===1863===
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| Veröffentlichung des Essays <i>Winterliche Aufzeichnungen über sommerliche Eindrücke</i> in der Zeitschrift <i>Vrémja</i>. Darin berichtet Dostojewskij von der langersehnten Auslandreise, die ihn im Jahr zuvor durch Westeuropa unternommen hatte. Im Mittelpunkt steht die materialistische Seelenlosigkeit der "bourgeoisen" Kultur Westeuropas. Als Ausweg wird eine Rückbesinnung auf urrussische Werte im Sinn des Panslawismus eingeklagt.
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| * <b>April:</b> Verbot der Zeitschrift <i>Vrémja</i> wegen eines angeblich subversiven Artikels.
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| * <b>Sommer:</b> Zweite Europareise. Dostojewskij will nach Paris, um sich dort mit Polína Súslova zu treffen. Er unterbricht seine Reise in Wiesbaden, wo er sein Glück beim Roulette versucht und in der Folge einer langjährigen Spielleidenschaft verfällt. Von den gewonnenen 10'000 Francs hat er schon am nächsten Morgen nichts mehr, gewinnt am Abend aber erneut 3'000 Francs, mit denen er nach Paris eilt.
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| Weitere Spielabenteuer in Baden-Baden, wo Dostojewskij seine gesamte Barschaft am Roulettetisch verliert. Ohne Geld flieht er mit Polína nach Genf und dann nach Turin. Das wenige Geld, das er aus Russland geschickt bekommt, verspielt er sofort wieder. Die beiden haben weitere Geldschwierigkeiten in Rom, von wo sie über Neapel und Genua nach Turin zurückkehren. Polína verlässt ihn hier sofort und kehrt nach Paris zurück.
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| * <b>Ende Jahr:</b> Dostojewskij reist weiter nach Bad Homburg, wo er weiterhin spielt und verliert. Zerknirscht reist er schliesslich nach St. Petersburg zurück und eilt zu seiner schwindsüchtigen Frau Márja Dmítrijevna, um sie von Vladímir ins trockenere und gesündere Klima von Moskau zu bringen. Den ganzen folgenden Winter verbringt er an ihrem Bett, obwohl er selbst unter häufigen epileptischen Anfällen und einer schmerzlichen Blasenerkrankung zu leiden hat. Hinzu kommt die Armut und das skandalöse Benehmen seines Stiefsohns Páscha, der in St. Petersburg zurückgeblieben ist. In diesen Wochen schreibt Dostojewskij seine <i>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch</i>.
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| ===1864===
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| * <b>März:</b> Herausgabe der ersten Nummer der von Michaíl und Fjodor Dostojewskij als Nachfolgerin der verbotenen <i>Vremja</i> herausgegebenen Zeitschrift <i>Epócha</i>. Die Tendenz der Zeitschrift ist weniger liberal, sodass die Abonnenten ab, die Schulden dagegen zunehmen. Immerhin ist in der ersten Nummer Turgénevs Erzählung "Gespenster" zu finden.
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| In der Zeitschrift <i>Epocha</i> erscheinen auch Dostojewskijs i>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch</i>. Das Werk ist offensichtlich ein Angriff auf Tschernyschévskijs höchst populären optimistischen Roman <i>Was tun?</i> (gedruckt in <i>Sovreménnik</i>, 1863) und auf die Modephilosophie des "aufgeklärten Eigennutzes". Der entwurzelte Ich-Erzähler sucht darin gegenüb
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| er seiner rationalisierten Aussenwelt (symboliert im Kristallpalast der Londoner Weltausstellung) trotz aller Entfremdung eine subjektive, unsinnig-paradoxe Grundhaltung zu bewahren. Dieser starrköpfige Heroismus wird später vielen Figuren Dostojewskijs - etwa Stawrogin in den Dämonen und Iwan in den Brüdern Karamasow - eigen sein.
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| * <b>16. April:</b> Tod von Dostojewskijs Frau Márja Dmítrijevna.
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| * <b>10. Juni:</b> Tod von Dostojewskijs älterem Bruder Michaíl. Er hinterlässt eine Witwe (Emilia) mit vier Kindern und eine Geliebte mit einem unehelichen Kind - alle sind ohne Mittel. Dostojewskij sieht es als seine moralische Pflicht, für sie alle zu sorgen.
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| * <b>Herbst:</b> Polína Súslova lehnt mehrere Heiratsangebote von seiten Dostojewskijs ab. Dieser macht sicherheitshalber gleichzeitig einigen anderen Frauen den Hof, darunter auch Anna Kórvin Krukóvskaja, deren Vater General und reicher Gutsbesitzer in einer abgelegenen Provinz ist.
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| * <b>Ende Jahr:</b> Vorübergehendes Verhältnis mit der russischen Abenteurerin Martha Brown.
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| ===1865===
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| Veröffentlichung der an Gogols <i>Die Nase</i> erinnernden Groteske <i>Das Krokodil</i>, die mit den damals gängigen Gemeinplätzen der liberalen Presse Russlands spielt.
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| * <b>Frühjahr:</b> Die Zeitschrift <i>Epócha</i> stellt ihr Erscheinen ein und beendet damit Dostojewskijs fünfjährige journalistische Laufbahn. Dieser übernimmt die 15'000 Rubel Schulden der Zeitschrift.
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| * <b>Sommer:</b> Dritte Europareise, hauptsächlich um Polína wiederzusehen. Um das Reisegeld zu beschaffen, verkauft er für 3'000 Rubel die Rechte an einer Ausgabe seiner bisherigen Werke an den wegen seiner Skrupellosigkeit berüchtigten Verleger Stellóvskij. Gemäss Vertrag ist Dostojewskij verpflichtet, diese Ausgabe bis spätestens 1. November 1866 durch einen neuen Roman zu ergänzen.
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| * <b>Mitte August:</b> Dostojewskij entkommt mit dünner Brieftasche nach Deutschland, wo er die aus Paris gekommene Polína trifft. Gemeinsam wohnen sie im Hotel Victoria in Wiesbaden. Im Vertrauen auf sein "System" überlässt sich Dostojewskij erneut der Spielleidenschaft und verliert so alles mitgebrachte Geld. Er bittet Alexander Herzen, der sich in Genf aufhält, erfolglos um 150 Taler. Den in Baden-Baden weilenden Turgénev bittet er um 100 Taler, erhält aber nur 50, die Polína sogleich an sich nimmt und nach Paris abreist. Nachdem er von der Hotelleitung kein Essen, nur noch Tee erhält, erhält er schliessl
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| ich einiges Geld von seinem sibirischen freund General Wrangel, der inzwischen russischer Gesandschaftssekretär in Kopenhagen geworden ist. Nachdem ihm auch der Priester der Wiesbadener russischen Kirche noch ausgeholfen hat, reist Dostojewskij nach Kopenhagen. Hier weilt er einige Tage bei Wrangel und reist dann per Schiff nach St. Petersburg zurück. 300 Rubel, die Kátkov als Vorschuss für den geplanten Roman <i>Schuld und Sühne</i> nach Wiesbaden geschickt hat, kommen zu spät an und werden vom russischen Priester nach St. Petersburg weitergeleitet.
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| Veröffentlichung von <i>Eine dumme Geschichte</i>.
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| ===1866===
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| <i>Schuld und Sühne</i> (eine bessere Übersetzung des Originaltitels wäre <i>Übertretung und Zurechtweisung</i>) wird dem Verleger abgeliefert und erscheint fortsetzungsweise in der Zeitschrift <i>Rússkij véstnik</i>. Im Mittelpunkt des Romans steht mit dem verarmten Petersburger Studenten Raskolnikow (von russisch raskol: Abspaltung) ein vom Volk losgelöster Held. D
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| adurch, dass Raskolnikow den von ihm begangenen Mord an einer Pfandleiherin (der "Laus") und ihrer Schwester letztendlich als Versuch deklariert, sich über die moralischen Grundsätze der Allgemeinheit hinwegzusetzen und damit zum Übermenschen (zum "Napoleon") zu werden, wird das kriminalistische Element des Buches auf eine philosophische Ebene gehoben. Statt Genugtuung aber stellt sich bei Raskolnikow nur das Gefühl völliger Vereinsamung ein. Erst durch ein Geständnis und die aufopfernde Liebe der engelsgleichen Prostituierten Sonja gelingt dem philosophischen Verbrecher die Läuterung. Die Abkehr vom materia
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| listischen Denken seiner Vorzeit lässt Raskolnikow im sibirischen Gefangenenlager zu neuem Leben auferstehen.
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| * <b>Sommer:</b> Dostojewskij verbringt den ganzen Sommer auf dem Land unweit Moskau, ohne auch nur eine Zeile des versprochenen Romans geschrieben zu haben.
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| * <b>Anfang Oktober:</b> Dostojewskij kehrt nach Petersburg zurück und diktiert der jungen Stenographin Anna Grigórjevna Snítkina innert 26 Tagen den kurzen Roman <i>Der Spieler</i>.
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| * <b>1. November:</b> Der Roman <i>Der Spieler</i> wird termingerecht dem Verleger abgeliefert.
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| ===1867===
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| * <b>15. Februar:</b> Dostojewskij heiratet Anna Grigórjevna Snítkina gegen den heftigen Einspruch seiner Verwandten.
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| Veröffentlichung des Romans <i>Der Spieler</i>. Darin porträtiert Dostojewskij nicht zuletzt seine eigene Sucht. Darüber hinaus jedoch thematisiert das Buch in der Hassliebe des Protagonisten zu einer Generalstochter einmal mehr die zwischen Zwang und Freiheit schwankende Persönlichkeit eines verzweifelten Ichs. Deutlich ist auch diese Figur geprägt von jener "Leidenschaft zur Qual", die die Psychologie der Antihelden aus Dostojewskijs letzten grossen philosophischen Romanen bestimmt.
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| * <b>5. März:</b> Geburt der Tochter Sónja.
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| * <b>Mitte April:</b> Das Ehepaar Dostojewskij verlässt Russland, u. a. um seinen Gläubigern zu entgehen (sie hatten ihm mit Schuldgefängnis gedroht), und bleibt vier Jahre im Ausland. Sie leben zuerst in Genf, dann in Florenz, Wien, Prag und schliesslich in Dresden. Weitere Aufenthalte in Berlin, Bad Homburg und Baden-Baden.
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| * <b>24. Mai:</b> Tod der Tochter Sónja.
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| ===1868===
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| Aufenthalt in Florenz.
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| Veröffentlichung des Fortsetzungsromans <i>Der Idiot</i> (1868-1869). Dieser Roman und <i>Die Dämonen</i> (1871-1872) machen Dostojewskij weltberühmt. Die Figur im Zentrum des Geschehens trägt von Beginn an christusähnliche Züge. In Notizen hat Dostojewskij sie selbst einen "im positiven Sinne schönen Menschen" genannt. Schönheit und Sittlichkeit sind hier synonym gedacht. Als Idiot erscheint der Epileptiker Fürst Myschkin nur einer unverständigen Umgebung. Tatsächlich weist seine Epilepsie auf Dostojewskijs Ideal eines religiösen Mystizismus hin. Durch sein Erleben einer höheren Realität fällt Myschkin aus
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| der Summe der negativen Helden Dostojewskijs ganz heraus. Ästhetisch interessant ist Myschkin aber vor allem durch seine romankonstituierende Funktion: Trotz seiner sozialen Isolation sind alle Erzählstränge auf ihn bezogen, und alle Figuren wenden sich ihm zu. Die Aura Fürst Myschkins gewährt dem Roman seine Einheit.
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| ===1869===
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| Reise von Florenz nach Dresden.
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| * <b>26. September:</b> Geburt der Tochter Ljubóv.
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| ===1870===
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| Veröffentlichung der Novelle <i>Der ewige Gatte</i>.
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| ===1871===
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| Veröffentlichung des Fortsetzungsromans <i>Die Dämonen</i> (1871-1872). Darin greift Dostojewskij das zentralistische Modell von <i>Der Idiot</i> wieder auf. Wie um eine Sonne gruppieren sich in der Welt des Romans mehrere Revolutionäre um den Anarchisten Stawrogin, dessen nihilistischer Egalismus ("Alles ist allem gleich") wiederum im Mord kulminiert. Das an einem vermeintlichen Verräter begangene Verbrechen gibt der Gruppierung Sinn und Zusammenhalt. Zur Konzeption der Dämonen liess sich Dostojewskij von Presseberichten über den Mord an dem Studenten Iwanow im Park der Landwirtschaftlichen Moskauer Akademie inspirieren. Doch überhöht er auch hier das Geschehen im philosophischen Sinne: Alle Revolutionäre sind besessen von atheistisch-zerstörerischen Idealen. Im Roman stellt Dostojewskij ihnen das Credo der Nebenfigur Schatows entgegen: "Ich glaube an Russland, ich glaube an die Orthodoxie ... Ich glaube, dass Christi Wiederkunft in Russland stattfinden wird." So wird die Figur zum Sprachrohr ihres Autors. Demgegenüber beichtet Stawrogin: "Ich glaube an den Teufel."
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| * <b>Juli:</b> Das Ehepaar Dostojewskij kehrt nach St. Petersburg zurück.
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| Geburt des Sohnes Fjodor. Besserung der wirtschaftlichen Lage.
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| ===1873===
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| * <b>Anfang Jahr:</b> Dostojewskij wird Schriftleiter der konservativen Zeitschrift <i>Grashdanín</i> [?dt. Bürger] (bis Mitte 1874) und mietet ein Haus in Stáraja Rússa. Als regelmässige Kolumne erscheint darin Dostojewskijs <i>Tagebuch eines Schriftstellers</i> (darin u. a. <i>Bobók</i>) (1873-1881), in dem er ein Forum für seine teilweise regressistische politisch-religiöse Ideologie findet. Neben autobiographischen und poetologischen Bemerkungen erscheinen im <i>Tagebuch</i> auch mehrere Prosatexte, darunter <i>Bobok</i> (1873).
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| Freundschaft mit Vladímir Solovjóv. Annäherung an die Slawophilen.
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| ===1874===
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| Dostojewskij wird erneut verhaftet und gefangen gesetzt, dieses Mal wegen Verletzung der Zensurvorschriften.
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| ===1875===
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| Reise nach Bad Ems zur Behandlung seines Emphysems.
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| * <b>10. August:</b> Geburt des Sohnes Aljóscha.
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| Veröffentlichung des Romans <i>Der Jüngling</i>.
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| ===1876===
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| Dostojewskij wird Alleinherausgeber der neuen Monatsschrift <i>Dnevik pisatelja</i> (1876-1877).
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| In Dostojewskijs <i>Tagebuch eines Schriftstellers</i> erscheint die wegen ihrer stenographischen Genauigkeit als "phantastisch" bezeichnete Erzählung <i>Die Sanfte</i>.
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| ===1877===
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| Reise nach Darovóje.
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| In Dostojewskijs <i>Tagebuch eines Schriftstellers</i> erscheint die Novelle <i>Der Traum eines lächerlichen Menschen</i>.
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| ===1878===
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| Aufnahme Dostojewskijs in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften als korrespondierendes Mitglied.
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| * <b>16. Mai:</b> Tod des Sohnes Aljóscha.
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| ===1879===
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| Veröffentlichung von Dostojewskijs letztem Roman <i>Die Brüder Karamázow</i> (1879-1880), der gleichsam eine Quintessenz seines Gesamtwerks darstellt. Auch hier ersetzt ein komplexes Netz von Handlungen und Intrigen die stringente Handlung. Auf der untersten Ebene ist das Buch als Kriminalgeschichte eines Vatermordes lesbar. Seine intellektuelle Spannung bezieht es jedoch aus der Konfrontation der Brüder Karamasow, die jeweils verschiedene weltanschauliche Positionen vertreten: Die Intellektualität des Skeptikers Iwan wird im Roman gegen die Emotionalität Dmitrijs und die Frömmigkeit Aljoschas ausgespielt. A
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| lle drei Typen aber illustrieren gemeinsam einmal mehr Dostojewskijs Figurenkonzeption unter dem Aspekt der selbstzerstörerischen Qual (nadryw) des Individuums. In ihnen sind die existentiellen Antinomien Dostojewskijs (Machthunger versus Unterwerfung, Freiheit versus Zwang, Sünde versus Ethik, Körper versus Seele) neuerlich umrissen.
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| Dostojewskijs Frau Anna eröffnet einen Buchversandhandel.
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| ===1880===
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| * <b>8. Juni:</b> In Moskau hält Dostojewskij anlässlich der Enthüllung des Púschkin-Denkmals seine berühmte Rede über den grossen russischen Dichter und wird dafür enthusiastisch gefeiert. Höhepunkt von Dostojewskijs Ruhm.
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| ===1881===
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| In Dostojewskijs <i>Tagebuch eines Schriftstellers</i> erscheint seine 1880 gehaltene Púschkin-Rede.
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| * <b>28. Januar:</b> Fjodor Dostojewskij stirbt in St. Petersburg im Alter von 55 Jahren an einer Lungenentzündung.
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| * <b>1. Februar:</b> Dostojewskij wird auf dem Friedhof des Alexander Névskij-Klosters in St. Petersburg beigesetzt.
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| ===1882===
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| Die in Deutschland unter dem Titel <i>Raskolnikow</i> erschienene Übersetzung von <i>Schuld und Sühne</i> wird begeistert aufgenommen. Vor allem die realistische Schilderung menschlicher Pathologien und die philosophische Stilisierung der Figuren zu Ideenträgern prägen die Schriftstellergenerationen von Naturalismus und Expressionismus nachhaltig.
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| Einer der grössten und frühesten Bewunderer der <i>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch</i> ist Friedrich Nietzsche ("ein wahrer Geniestreich der Psychologie"), der in der Erzählung die eigene Konzeption einer philosophischen "Umwertung aller Werte" vorweggenommen sieht. Ansonsten bespiegelt gerade Nietzsches Urteil Dostojewskijs unaufhörliches Schwanken zwischen Traditionalismus und Modernität: Der Russe sei, so Nietzsche, ein "grandioser Psychologe - und ein erbärmlicher Christenmensch".
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| ===1929===
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| Der russische Literaturwissenschaftler Michail Michajlowitsch Bachtin (1895-1975) weist in seiner epochalen Studie <i>Probleme der Poetik Dostojewskijs</i> auf das dessen neue Erzählverfahren hin und hebt die Polyphonie (Mehrstimmigkeit) der Romanstruktur hervor. Bachtin zufolge treten die Figuren als Vertreter philosophischer Ideen auf, die Dostojewskij ohne Erzählerkommentar nebeneinander stehen lässt. Antithetische Positionen werden zumeist in Rededuellen (wie etwa zwischen Iwan und Aljoscha in <i>Die Brüder Karamasow</i>) dargelegt. Wie Bachtin nachweisen kann, findet dieses dialogische Prinzip bei Dostojewskij selbst in den Monologen der Figuren Anwendung: In den <i>Aufzeichnungen aus einem Kellerloch</i> etwa reagiert der
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| Protagonist in seinen Reflexionen auf die Präsenz eines imaginären (Lese-)Publikums, indem er dessen Einwände in direkter Anrede ("Sie denken bestimmt", "oder denken Sie vielleicht") selbst vorwegnimmt.
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| ===1940er Jahre===
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| Auch die Autoren des Existentialismus und Surrealismus stehen unter Dostojewskijs Einfluss: So behauptet etwa Jean-Paul Sartre, durch die Lektüre Dostojewskijs erst zu seinen Schriften angeregt worden zu sein. Deutlich ist vor allem in Sartres Einakter <i>Bei geschlossenen Türen</i> (1944) die Grundidee der <i>Aufzeichnungen aus dem Kellerloch</i> (die Aussenwelt als Hindernis der eigenen Selbstverwirklichung) erkennbar.
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| Wladimir Nabokov spricht Dostojewskij später seiner quasi dramatischen Darstellungsweise jegliches Talent als Prosaautor ab - besser hätte er, so Nabokov, Theaterstücke verfasst -, trotzdem hat dessen Romanwerk doch gerade durch diese beiden innovativen Aspekte (Psychologie und Polyphonie) einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die Literatur der Moderne ausgeübt.
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| ==Bibliographie==
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| ===Übersetzungen===
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| * 1921 H. Röhl u. a. - 21 Bände
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| * 1927ff A. Luther. - 18 Bände
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| * 1952-1960, 1980 [Gesamtwerk] E. K. Rahsin. - 10 Bände
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| * 1966 Gesammelte Briefe 1833-81
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| * 1986 Die Briefe an Anna 1866-1880
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| ==Weblinks==
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| * [http://stange.simplenet.com/dostoevsky/ Dostoevsky Resource Station] (Christiaan Stange)
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