1999.04.21 Der Bund "Herr, gib ihnen die ewige Unruhe"

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  • Autor: Brigitta Niederhauser
  • Veröffentlichung: 1999.04.21 country ch.gif Der Bund Nr. 91, S. 8

Herr, gib ihnen die ewige Unruhe

Kulturgeschichte / In den 60er Jahren macht er mit Poëtenz und Hotcha! Schlagzeilen; später wird er Alphirt, und in den 90ern gibt er die Alben des Underground-Labels ESP neu heraus: Mit dem Band Im Zeichen des magischen Affen erzählt Urban Gwerder nicht nur sein wildes Leben, sondern zeichnet spannend und witzig ein Stück bewegte Kulturgeschichte nach.

Im Theater am Zytglogge fliegen Zettel auf die Bühne. "Wir sprechen die gleiche Sprache", steht drauf, und nach der Vorstellung wird der Dichter von der Bühne weg in eine WG in einem Abbruchhaus entführt: Urban Gwerder bewegte mit seiner Poëtenz-Performance 1966 auch Bern.

Ein Medley aus Protestlyrik, Bluesrhythmen und Zelluloidträumen ist Gwerders Poëtenz. Als Comte Ivan Merdreff liest er eigene Gedichte, Jelly Pastorini und Ivan Hoe sorgen für Orchesterbegleitung, und der damals 26jährige Filmemacher Fredi Murer alias King Melchior zeigt den surrealistischen Kurzfilm Chicorée über "den totalen Urban" und dessen "schizofragmentarische Aufzeichnungen". Der Erfolg in Bern ist so gross, dass das Happening unter dem Motto "Bern ist verrückt nach uns" wiederholt wird. "Gwerder beweist vor allem eins", schrieb damals der Bund über den Dichter aus Zürich, "dass selbst das, was sich für Kunst hält, heiter sein kann."

360seitige Wundertüte

Als Achtjähriger fängt Urban Gwerder 1952 mit Dichten an, und bereits ein Jahr später schreibt er so hübsche Zeilen wie "Gedichtlein / Dieses Gedichtlein / Sieht aus wie ein Schwein / Es springt in eine Oase / und kratzt sich an der Nase." Mit siebzehn veröffentlicht er beim renommierten Arche-Verlag seinen ersten Gedichtband Oase der Bitterkeit. Er überwirft sich aber bald mit dem Arche-Verleger Peter Schifferli, weil er nicht als frühreifer Sohn des berühmten Dichters Alexander Xavier Gwerder, der sich 1952 in Frankreich umgebracht hatte, vermarktet werden will: "Das Wunderkind wollte keines sein und hatte inzwischen selber eins." Sein Sohn Wanja wird 1962 geboren, und der 18jährige wird wegen der Schwangerschaft seiner Freundin vom Lehrerseminar gewiesen.

Sein aufregendes Leben hat Urban Gwerder mit dem Band Im Zeichen des magischen Affen nachgezeichnet. Nicht nur Dichter ist er, 1968 gibt er das legendäre Untergrundmagazin Hotcha! heraus, in den siebziger Jahren wird er Bergbauer im Graubünden. Weiter baut er ein riesiges Archiv über Frank Zappa auf, mit dem er befreundet ist, und in den neunzigern wird er von ESP, dem legendären New Yorker Underground-Label, mit der Herausgabe der ESP-Alben auf CD beauftragt. Als wunderbar organisches Durcheinander kollagiert Gwerder seine Gedichte mit Flugblättern, Fotografien, Zeitungsausschnitten, Essays und Zeichnungen und macht so aus dem 360seitigen Band eine prächtige Wundertüte. Neben Gwerders aufregendem Leben wird gleichzeitig auch ein gewichtiges Stück bewegter Gegenkultur nachgezeichnet. Eine Gegenkultur, die lange vor dem Mai 1968 angefangen hat: "Es gab und gibt keine 68er Generation. Wer immer diese Schublade erfunden hat, muss ein frustriertes linkes Arschloch gewesen sein", hält Gwerder fest, der den Band ohne Computer und öffentliche Subventionen auf seiner "Muskelschreibmaschine" und mit der finanziellen Unterstützung von Freunden realisiert hat. Keine Analyse liefert Gwerder, noch verklärt er nostalgisch die bewegten Zeiten, die für ihn längst nicht zu Ende sind. Ausufernd und voller amüsanter Nebensächlichkeiten ist seine Dokumentensammlung. So chaotisch der Band auf den ersten Blick erscheint, so genau vermittelt er aber das Lebensgefühl der Sixties, das an vielen Orten der Welt gleichzeitig aufgekommen ist.

Live durchs globale Dorf

Die Keimzelle von Gwerders reichem Universum sind die Beatniks, deren Aufbruch sich über die Hippies und die Rockmusik als Verstärker weiterverbreiteten. Lange vor der Erfindung des Internet schlendert Gwerder vergnügt durchs globale Dorf, lernt alle berühmten oder nicht berühmten Menschen kennen, die ihn interessieren. Überall entdeckt er "Artgenossen": in Bern in den Achtzigern das Duo Stiller Has, in San Francisco in den Sechzigern die Kultband The Fugs. Und mit dem Fugs-Bassisten Tuli Kupferberg, dem Allen Ginsberg mit "der Mann, der von der Brooklyn-Brücke sprang und überlebte" in Howl ein Denkmal gesetzt hat, ist Gwerder bis heute befreundet.

"Herr, gib ihnen die ewige Unruhe", predigte Gwerder 1966 in seiner Poëtenz-Perfomance. Er selber ist 33 Jahre später immer noch von ihr befallen: 1999 grüsst er "die Jungen, die das geklaute Feuer weitertragen", und sein Tip für die "Arbeitslosen-Selbsthilfe" lautet "alles ist erlaubt, was niemandem schadet".

Das Buch

Urban Gwerder: Im Zeichen des magischen Affen. WOA Verlag AG. Zürich. 360 Seiten. 60 Franken.