1996 Schweizer Familie "Beizen-Poeten mit Witz"

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Autor Bruno Habegger
Veröffentlichung 1996 country ch.gif Schweizer Familie

Beizen-Poeten mit Witz

Sie werden gelobt, mit Mani Matter verglichen, und ihre CD Moudi zeigt, weshalb. Nun geht die preisgekrönte Berndeutsch-Formation Stiller Has auf Tournee

"Ich möchte so gerne ein Spiesser sein", meint der massige Mann, grinst, und seine Haare stehen wie mikrokleine Hasenlöffel von seinem Kopf ab. "Aber sie lassen mich nicht!"

Nicht anzunehmen, dass er es ernst meint. Es muss eines jener Täuschungsmanöver sein, von denen er immer wieder spricht, eine wilde, verbale Hakenschlagerei vor potentiellen Jägern, die dem Berner Endo Anaconda das Fell über die Ohren ziehen könnten. Täuschend übrigens auch sein Name - der 40jährige Poet und Stimmakrobat der Minimal-Rock-Folk-Formation Stiller Has hat eigentlich einen ganz bürgerlichen Namen, dem er aber sein ganzes Leben lang nie entsprochen hat.

"Der Has ist schon ein Täuschungsmanöver", sagt er. Er ist nicht zu packen. Die Musik entzieht sich jeder Etikette, und die Texte sorgen für poetische Verwirrung. Jeder sieht und hört, was er will - Jazz, Volksmusik, Pop. Kunst, Kabarett oder Blödsinn.

Ursprünglich war Endo Serigraf, arbeitete in einer Kunstdruckerei, später schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben, wuchtete Schweinsköpfe herum oder strich Eisenbahnbrücken. Und lebte lange in Asien. "Shit geraucht und Bongo gespielt", beschreibt er sein damaliges Leben. Heute spielt er mit Worten und kreiert berndeutsche Klangbilder wie dieses: "Verlore wie ne Gagu schwäben i dür ds lären All, u us däm All, da gits kei Uswäg, will das hueren All isch überall!"

Die Anacondaschen Worteskapaden begleitet jeweils der Multiinstrumentalist Balts Nill, und zusammen hoppeln die beiden "stillen Hasen" durch die Konzertsäle und heimsen Kleinkunstpreise und seitenlange, gescheite Rezensionen in wichtigen Feuilletons ein.

Sie stapeln sich auf der Eckbank in Endos Mietwohnungsküche. Auf dem Regal liegen die neuen CDs, Moudi, und Endo steht am Herd, brüht Tee auf und setzt sich wieder aufs Taburettli, um zu erzählen, wie er sich freut, wenn aus seinen Geschichten wieder neue entstehen. "Ich bin manchmal selbst erstaunt, was die Leute so alles ber meine Texte herausfinden..." Er arbeite ja mehr intuitiv, so aus dem Bauch heraus und suche nach Themen, "die schon den gewissen Schliff haben, mehrere Bedeutungen, die zum Spielen einladen". Beizenpoesie halt, sagt er.

Es ist ganz ruhig in der kleinen Wohnung in diesem Berner Aussenquartier. Das Schaukelpferd, auf dem ein Kassettenrecorder reitet, steht still, und Endos Tochter, knapp fünf, schläft: "Äuä, nüt Privats...", kontert er Fragen nach seiner Häuslichkeit bestimmt, kommt aber dann doch ins Schwärmen. "Sie bedeutet mir alles", sagt er, "sie hat mir die Augen geöffnet, vor ihr hatte ich seit fünfzehn Jahren kein Vögelchen mehr gesehen. Sie zwingt mich zur Langsamkeit." Er ist, wie er sagt, "ein Halbzeitpapi", lebt alleine. "Und jetzt ist genug!" Er mag nicht mehr über sich reden.

Aber darüber, wie er sich auf die Tournee freut. Erst auf der Bühne entstünden die neuen Lieder, dann wird der gemütliche Endo Anaconda zum Vulkan, der improvisiert, und rudert wie Joe Cocker, der singt - und täuscht.