1995.06.14-15 Abendzeitung "Der Matrose will mehr Meer"

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Autor Sigrid Hardt
Veröffentlichung 1995.06.14-15 country de.gif Abendzeitung Nr. 135

Der Matrose will mehr Meer

Kabarett: Salzburger Stier für Faltsch Wagoni, Stiller Has und Affronttheater

In seinem 14. Jahr ist das stramme Hornvieh ganz schön gefordert: Der Salzburger Stier, Kabarettpreis (Bronzeplastik plus 3'000 Mark) der co-produzierenden Hörfunkanstalten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, musste "ernste Bedenken" anmelden, sich "kreuzweis" am "Feinsten und Gemeinsten" laben, auf "Jungfernfahrt" gehen, und zwar "Hin und zurück" und das nicht gerade als Hasenfuss. Der Bulle nahm's gelassen, es reizte ihn ja auch kein rotes Tuch.

[Es handelt sich Mehrfachkonzertbesprechung der Künstler Faltsch Wagoni, Georg Kreisler, Osy Zimmermann und Stiller Has von der im folgenden nur die Osy Zimmermann und Stiller Has betreffenden Teile wiedergegeben werden]

Ganz anders der Schweizer Osy Zimmermann, Vokalist, Pianist, Parodist und vor allem ein hinreissender Geschichtenerzähler, in Wort un Ton. Aus seinem Ochsenbühl am See ("mein Heimatland, mein Dörfli") lässt er sich hinwegtreiben in mehr Meer, bis zu den Eisbergen vor Grönland. Eine extraordinäre "Jungfernfahrt", ein wunderbarer Trip in die "Welt, die auf mich gewartet hat", gesponnen aus edlem Seemanssgarn, bis hin zum Untergang der Titanic ("schwimmende Schicht-Torte", vonwegen der Klassengesellschaft) und den Fischen im Atlantik, die nur staunen können über das Mobiliar dieses Untergangs. Eine phantastische Reise in den Mittelpunkt der bizarren Satire - und die ideale Einstimmung für den Rasse-Stier aus der Schweiz.

Stiller Has nennen sich Balts Nill und Endo Anaconda, in diesem Jahr in Salzburg die herausragende Begegnung. Der eine (Nill) sitzt in geradezu stoischer Disziplin (mit extrem dosierten Gefühls-Ausbrüchen) hinter seinem Instrumenten-Arsenal und begleitet den anderen (Anaconda) einfühlsam kommentierend und auch fürsorglich bei dessen Explosionen. Und die sind so aufregend wie sinnfällig. Text und Musik ergänzen einander betörend ideal. Wie ein mächtiger Elefant bringt sich Anaconda körperschwingend in den Blues (Joe Cocker könnte ihm Lorbeeren winden), lässt die Texte aufblühen und irritieren à la Kurt Schwitters oder Ernst Jandl. Wenn's dunkel wird, wird er Pirat, hat aber als Mondmatrose kein Schiff, baut sich ein Buddelschiff, sieht an nebligen Tagen die Toten zu Besuch kommen und fühlt sich fremd im Hemd und will ein Hemd im Trend und betet "Oh Herr, komm nicht her, fahr ans Meer" und will fliegen, denn das ist seine Natur, obwohl er weiss, dass es im All keinen Ausweg gibt, denn "All ist überall". Mit dem Stillen Has genau dorthin zu fliegen, das wäre über(all)wältigend.

Salzburger Stier im Samstagsbrettl des BR (Hörfunk 2, 19.05 Uhr): Jonas / Faltsch Wagoni am 12.8.; Osy Zimmermann / Stiller Has am 26.8. und Georg Kreisler / Affronttheater am 9.9.