1995.06.10 Südkurier "Landjäger, Gendarm oder doch nur Dauerwurst?"

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Autor Joachim Schwitzler
Veröffentlichung 1995.06.10 country de.gif Südkurier (Radolfszell)

Landjäger, Gendarm oder doch nur Dauerwurst?

Stiller Has aus Bern zeigten, wie gross Kleinkunst sein kann - Allrounder zwischen Persiflage und Satire

Im Rahmen des "Bodenseefestivals 1995" trat in der Höri-Halle Gaienhofen die Berner "Zweimann-Band" Anaconda (Gesang) und Balts Nill (Instrumente) mit musikalischen Cartoons auf. Angekündigt waren sie als Kabarett Stiller Has, als "Rockband ohne Band", die "Heimatlieder ohne Heimat singt".

Aufstuhlen lassen hatte der Veranstalter, das Kultur- und Göstebüro der Gemeinde, für 70 Leute - gerade ein Drittel kam. Stiller Has wurde so unfreiwillig zum Vollstrecker einer Kunst, die zwar das Attribut "klein" trägt, jedoch alles andere als klein gelten kann.

Zwar verlief der Einstieg anfangs eher zähflüssig, doch insgesamt spielten die Berner grossartig auf. Anaconda und Balts Nill (die Allroundkünstler legen Wert auf die Anonymität ihrer bürgerlichen Namen) bestachen durch Witz und Ironie und eine Prise Sarkasmus. Mit ihren vielschichtigen Chansons, die sie der sprachlichen Verständigung halber stets hochdeutsch erläuterten, karikierten sie so ziemlich alles, was an aktuellen Themen auf die Schippe zu nehmen war: etwa die kontrovers diskutierte Haltung der Schweiz zur EG oder latente Fremdenfeindlichkeit.

Da wurde ein helvetischer Landjäger als Wortspiel ("Gendarm" gleich "Dauerwurst" - "Wie heissen sie in Deutschland?") und als Schandfleck in einer Gangsterfamilie aufs Korn genommen, in die er eingeheiratet hat. Daran lässt sich das Vermögen der leisen Zwischentöne von Anaconda und Nill zur satirischen Attacke auf das System erkennen: was als augenscheinliche individuelle Personengeschichte daher kommt, ist in Wirklichkeit die Entlarvung einer allumfassenden Verfilzung von Gangstertum und Polizei - in der Tat: eine "organisierte Kriminalität". Unbestechliche Beamte, die ihren Kodex noch ernst nehmen, sind da höchst fehl am Platz.

Die beiden Berner, die bereits mehrere Kleinkunstpreise erhalten haben (darunter den "Salzburger Stier"), zogen alle Register ihres musikalischen Könnens. Die Verständigung zwischen ihnen vollzog sich ohne Brimborium, sie waren gut aufeinander eingespielt. Anaconda parodierte das übertriebene Jazz-Gebaren mancher Musikredakteure und anderer Liebhaber dieser Musikart.

Er persiflierte den jungen Menschen von heute im Generationenkonflikt. Dieser mündet nicht mehr in die soziale Emanzipation des Jugendlichen vom Erwachsenen. Statt Konfliktbewältigung Flucht in die monotone und morbide Welt des Techno - mit freundlicher Unterstützung des Vaters, der gewissermassen die Hardware für das Ausleben vermeintlicher Freiheit - Techno auf der Autobahn - zur Verfügung stellt. Und immer lieferte Nill die musikalisch entsprechende Ergänzung und Untermalung.

Den Veranstaltern ist ein Lob auszusprechen: dass sie die Courage gehabt haben, eine "Kleinkunst der anderen Art", der nicht leicht verdaulichen Kost, zu engagieren. Leider nur wurden dafür wenig Leute mobilisiert. Schade um das Bemühen der Berner, die eine grössere Aufmerksamkeit zweifelsohne verdient hätten.

Deshalb wohl und aus sprachlichen Gründen zogen sie aus ihrem grossen Repertoire hauptsächlich die "deutschen" Sachen. Weil zufälligerweise der Südwestfunk ihre Cartoons aufzeichnete, war es denn auch weniger eine Studioaufnahme mit einigen wenigen, zahlenden Gästen.