1999 Süddeutsche Zeitung "Die allerletzte Performance"

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Die allerletzte Performance

Apotheose einer Karriere als Vampir mit Violine: Kinski Paganini

Die Kamera schwenkt über die jubelnden Zuschauer im Opernhaus von Parma. Die sinnliche Stimme einer begeisterten Frau erklingt aus dem 0ff. Sie spricht von Genie und Passion, von Schmerz und Ekstase. Sie spricht von dem Virtuosen, den Heine als den "Vampir mit der Violine" bezeichnet hat. Und dann sehen wir ihn unten, im Halbdunkel der Bühne stehen, armselig und gefährlich, verloren und triumphierend zugleich: Klaus Kinski als Nicolò Paganini.

Die langen, rabenschwarzen Haare umgeben ein blasses Gesicht, das verwüstet ist von Leidenschaft. Die Augen haben einen schwarzen Glanz, der Blick ist lauernd, aggressiv, aber auch verletzlich. Paganini verbeugt sich, eine Nachtgestalt der Musik, ein Monster der Kunst. Schliesslich küsst er seine Geige und setzt zum nächsten Vortrag an. Die Off-Stimme erstickt beinahe in einem Stöhnen, als das Spiel beginnt. Die Töne durchzucken gleichsam die Körper der Zuschauer. Das weibliche Publikum vor allem gerät in Verzückung. Es scheint, als würde er direkt auf den Nervenbahnen der Frauen im Theater spielen. Das Geigenspiel wird immer wilder, die Erregung steigert sich, die Bilder taumeln im Inferno der Töne. Die Hand mancher Zuschauerin verkrampft sich im Schoss. Nach demletzten Akkord hebt ein tosender Beifall an. Die Bühne mit den vielen Kerzen, wie der ganze Film ohne jegliches Kunstlicht von Pier Luigi Santi fotografiert, steht in goldenen Flammen. Über dem Bild mit den applaudierenden Zuschauern wird der Credit eingeblendet: "Geschrieben und inszeniert von Klaus Kinski".

Der Paganini-Film ist ein lang gehegtes Herzensprojekt von Kinski gewesen. Seit er in den Sechziger Jahren in einem Wiener Geigengeschäft eine Abbildung Paganinis gesehen hat, war er wie besessen von dem Teufelsgeiger und Gothic-Musiker. Er spürte eine Seelenverwandtschaft mit diesem ebenso umjubelten wie geächteten Performance-Künstler des 19. Jahrhunderts. Die Triebhaftigkeit und das Getriebensein, die Grenzüberschreitung und die Kompromisslosigkeit Paganinis - darin sah Kinski Parallelen zu seinem eigenen Leben: Und in der Vermischung von Legende und Wahrheit, der Verquickung von Leben und Show beim düster-romantischen Musiker Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Karriere. Nach 20 Jahren und unzähligen Anläufen konnte er das Projekt 1987 in Italien verwirklichen: eine Filmbiografie Paganinis als Selbstporträt.

Obwohl Kinski mit unglaublichem Einsatz die Werbetrommel rührt, ist dem Film kein Erfolg beschieden. In Cannes wird er abgelehnt. Nur in Italien und Japan läuft der Film, in zwei Ländern, die empfänglich sind für ein Kino der Rituale. Gut zehn Jahre nach seiner Herstellung kommt Kinskis rares Werk der Leidenschaft, das bei Underground-Cineasten unterdessen den Stellenwert eines film maudit gewonnen hat, endlich auch in unsere Kinos, im Eigenverleih eines Kinski-Aficionados. Zehn Jahre habe ihn der Film verfolgt, nachdem er ihn Ende der Achtziger in Italien gesehen habe, sagt der Verleiher. Die Besessenheit setzt sich also fort. Die Sehnsucht nach anderen Möglichkeiten, auch im Kino, die den Film durchzieht, wird selbst in der sorgfältigen Kino-Edition spürbar.

Lebendig eingemauert

Kinskis Film ist der Versuch, in der extremen Künstlichkeit natürlich und organisch zu sein, in der Abstraktion hautnah zu bleiben. "Nie", schreibt er, "wäre mir in den Sinn gekommen, das, was ich ausdrücken wollte, in die Zwangsjacke einer dieser idiotischen, fürs Publikum zurechtgeschusterten Filmhandlungen zu verschnüren, mit ihrer pedantischen und diktatorischen Logik und Continuity. Der Versuch, Paganini in die übliche Form eines Filmes einzuzwängen, hiess, ihn lebendig einzumauern. Denn er lebte - in mir."

Der Film gleicht einer wüsten Kutschenfahrt durchs Leben Paganinis, er ist ein Road Movie durch eine Seelenlandschaft mit der durchdringenden Geigenmusik als unheimlichen Motor, als schmerzenden Antrieb. Es gibt Schlaglichter auf die vielen Amouren und Sexabenteuer, auf die Auseinandersetzung mit dem Klerus, auf die grosse, verspielte Liebe zu seiner Frau Antonia Bianchi. Von zentraler Bedeutung aber ist Paganinis Weggefährte, sein kleiner, abgöttisch geliebter Sohn Achille. Der Film ist auch ein Trip durchs Leben Kinskis. Da sind Reminiszenzen an seine expressionistischen Villon- und Rimbaud-Rezitationsabende zu erkennen, da ist das Karnevaleske seiner Edgar-Wallace-Filme und das Opernhafte seiner Italo-Western spürbar, da steckt der Kitsch von Exploitation-Filmen und die Herzog-Erfahrung drin. Von zentraler Bedeutung aber ist der private Aspekt: Achille wird von Kinskis eigenem Sohn Nicolai gespielt.

Kinski Paganini ist ein hemmungsloser Mix: aus Kunst und Trash, der nicht jedem gefallen wird. Er ist auch eine verwegene Kombination von Autorenfilm und Home Movie. Neben Kinski spielt seine damalige Lebensgefährtin Debora Caprioglio. Weil er mit ihr Heiratspläne schmiedete, taucht sie in den Credits bereits als Debora Kinski auf. Der Film ist eine Liebeserklärung an Debora und Nicolai, dem die zweite Hälfte des Films gehört. Und er ist ein Essay über den letzten Auftritt, über den Schlussakkord. Schwerkrank, von Syphilis und Schwindsucht zerfressen, gibt Kinski seinem Sohn, bei dessen Anblick sich sein Zorn immer in Zärtlichkeit verwandelt, eine private Vorstellung. Zuerst spielt er melodiös, und der schöne kleine Junge mit der Katze auf dem Arm ist glücklich. Doch dann kippt die Musik ins Verzweifelte, ins Grauenhafte. Ein Totentanz beginnt, ein letzter Kampf der Kreatur. Die Agonie von Kinski-Paganini wird doppelt gespiegelt: im Geigenspiel und in den ängstlichen, verstörten Augen des Kindes. Ein ergreifender Moment Kino ist das, subtil im Spektakel, feinfühlig im Delirium. Der Paganini-Film sollte Kinskis Abschiedsvorstellung sein. Er hat ihn an den Rand der Erschöpfung gebracht, er hat darin seinen eigenen Tod geprobt. Kinskis Film - Lightning Over Water. Die geringe Beachtung tat ein Übriges. Im November 1991 ist Kinski in Kalifornien für immer im Dunkel der Bühne verschwunden.



Autor: Hans Schifferle