1996.03.21 Facts "Wir sind ein einziges Täuschungsmanöver"

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Autor Bänz Friedli
Veröffentlichung 1996.03.21 country ch.gif Facts Nr. 12, S. 136

Wir sind ein einziges Täuschungsmanöver

Das preisgekrönte doppelbödige Mundartrockduo Stiller Has kokettiert mit seinem Insiderstatus. Seine neue CD taucht dadaistisch ab in innere Welten.

Dem genervten TV-Regisseur von 3sat stand der Schweiss auf der Stirn. Nichts, aber auch gar nichts war während der abendlichen Direktübertragung der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises an das Schweizer Duo Stiller Has noch so, wie es am Nachmittag geprobt worden war.

Der Sänger, Endo Anaconda, fabulierte, statt sich an die Textvorlage zu halten, zuweilen in freier Improvisation drauflos. Und der Musiker, Balts Nill, setzte zu guter Letzt aus der Hocke zum halsbrecherischen Sprung über das eigene Schlagzeug an, dass dem Kamerateam Hören und Sehen vergingen. "Keine Ursache, schliesslich war ich mal Schweizer Unimeister im Skispringen", schmunzelt Nill, auf die Szene angesprochen, in seiner verschmitzt nachdenklichen Art. Er weiss, dass man bei Stiller Has ohnehin nie genau weiss, wie es gemeint ist.

Ihre Schlagerparodien sind nicht nur Parodien, sondern auch Schlager. Ihre Genre-Veräppelungen immer auch liebevolle Hommagen. In minimal instrumentierten Chansons mit maximaler Ausstrahlung haben Stiller Has das kleinkarierte Grossformat erfunden, einzigartig im deutschsprachigen Raum und von Chur bis Chemnitz, von Wien bis Wallisellen mit irritierter Begeisterung aufgenommen: winzig angelegte Songs, in denen weit mehr Rock 'n' Roll steckt als in manch üppig angerichteter Produktion.

Nill hantiert mit rudimentärem Schlagzeug, Banjo, Ukulele, propellerbetriebenem Harmonium oder Instrumenten-Attrappen aus der Spielwarenabteilung. Anaconda japst und johlt, deklamiert und wispert dazu wechselweise mit Wiener Schmäh oder Gotthelfschem Emmentaler Kolorit Texte, die zwischen konkreter Poesie im Stil eines Ernst Jandl, Kurt Schwitters oder H. C. Artmann und banalen Schubidu-Chörli pendeln.

Erotisch ist Anacondas Verhältnis zur Sprache, aus der Distanz einer in Kärnten verbrachten Jugend vernascht er das Berndeutsche und gewinnt dem Idiom Facetten ab wie keiner der einheimischen Mundartrocker. Er zitiert und verulkt, ganz nebenbei, von Mani Matter bis Polo Hofer jeden, der sich schon mit berndeutschen Texten hervorgetan hat.

Der rehäugige, leise Lautmaler Nill spielt mit kindlicher Freude und handwerklicher Reife. Oft musiziert er mit blossem Mienenspiel, derweil der bärbeissig polternde Anaconda vorn an der Rampe bodenständig ausser sich gerät wie ein hysterischer Hydrant.

In sieben Jahren hat sich das Paar vom Insidertip, der in Genossenschaftsbeizen und WG-Küchen Kultstatus genoss, zum internationel gefeierten Akt gewandelt.

Allmählich wurde der ungeteilte Zuspruch den beiden so ungeheuer, dass sie den Kleinkunstpreis "aus lauter Verlegenheit» zunächst ablehnen wollten. Denn das Kleinsein und die Subversion sind Bedingung für ihre abseitigen, abgründigen Betrachtungen. Antihelden taugen schlecht zu Helden.

"Man darf allerdings nicht den Fehler machen", sagt Nill, "die Umstände, in denen man lebt, mit Qualität zu verwechseln." Das Trotzige, das Stiller Has anhaftet, sei nicht zwingend. "Du kannst nicht ewig pubertieren." Dem nostalgischen Anspruch, alles müsse beim alten bleiben, und der gutbernischen "Weisch no"-Schulterklopferei hielt das Duo schon vor zwei Jahren den hämischen Refrain "Iih, sy das Giele gsy!" entgegen.

Typisch für die doppel- und tripelbödige Arbeitsweise ist der Titelsong des neuen Albums, "Moudi" - das bedeutet im Dialekt Kater. Anaconda verwandelt den Begriff spielerisch zur Katerstimmung, lässt den Moudi dann aber bedrohlich zum inneren Monster wachsen, zur Trunksucht, zum gehassten und geliebten Seelentier. Bei Stiller Has lauert stets Brisanz hinter der Komik, breiten sich hinter dem Witz Tragödien aus.

Stille Hasen gründen tief. Die musikpoetischen Kleinodien haben mehrere Ebenen: "Ängle" etwa verballhornt die Aneinanderreihung von Sprachbildern, der Songtexter, Werber und Journalisten gleichermassen verfallen sind. "Ha heiligi Chüe i d Pfanne ghoue, ha Luftschlösser u Sandburge bboue." Dennoch berührt der Song über Engel eigenartig.

Dank der feinsinnigen Umsetzung. Im Studio wurde weitgehend live gearbeitet, akustisch, ohne Schnickschnack und ohne Kopfhörer, "so, dass wir aufeinander hören mussten". Unterstützt wird das Duo, auch auf der neuen Tour, vom Free Jazzer Mich Gerber, "der mit uns seine sentimentale Seite auslebt", und von Frank Gerber, der sich als Songschreiber der von der Kritik heissgeliebten Band Central Services einen Namen machte.

Auf früheren Werken brillierten Stiller Has mit Milieustudien. Zugleich perfid, primitiv und präzis porträtierten sie Alltagsfiguren wie Henä, den Abwart und Taxichauffeur, oder Schämpu, den "Landjäger usem Schwarzbuebeland". Das war, weil es den ganz gewöhnlichen Faschismus entlarvte, hochpolitisch.

"Diesmal", sagt Nill, "ist's eher ein Wühlen im eigenen Dreck." Anaconda besingt Sucht und Depressionen, vertont seine Midlife-crisis. Nur am Rand und nur verschlüsselt tauchen reale Figuren wie der "Mordarzt" Doktor Walther und der SP-Nationalrat und Gerichtspräsident Alexander Tschäppät auf.

Die neuen Nummern tauchen ab ins Private, ins innere Exil. Oder heben ab ins All: "Verlore wie ne Gagu schwäben ig dürs lääre All, und us däm All da git's ke Uswäg, wüll das huere All isch überall."

Im Surrealen sieht Nill Realitätsbezug: "Wir zielen absichtlich an der Aktualität vorbei", sagt er, "dennoch ist eine Sensibilität für die Zeit vorhanden." Darin fühlen sich Stiller Has den frühen Dadaisten verwandt. "In der Zwischenkriegszeit wurde die politische Sprache, von links und rechts, derart missbraucht", sagt Nill, "dass sie nicht mehr dazu taugte, die Realität zu beschreiben."

Stiller Has sind immer wieder neu. Anaconda ist einmal selbstmitleidig zerzaust, beim nächstenmal staatsmännisch selbstbewusst; Nill ist mal in sich gekehrt, dann überdreht - mit Laurel-und-Hardy-Effekt: Die kreative Spannung rührt daher, dass das Paar so ungleich ist. Auf Deutschlandreisen braust Anaconda, daheim Chauffeur eines Behindertentaxis, des Nachts allein über die Autobahnen, während Nill im Zug sitzt. "Jeder von uns", sagt Nill, "kann im anderen seine verborgenen Seiten ausleben."

Ganz lässt sich dessen ständiges Work in progress nur im Konzert erfassen, dennoch wehrt das Duo sich gegen die Publikation einer Live-Platte. "Weil, was wir machen, ein einziges Täuschungsmanöver ist", behauptet Nill, "ich spiele Kontrabass mit der linken Augenbraue, will heissen: Das Publikum hört ganz viel, was gar nicht ist." Nicht Hörbares klingen zu lassen, das bringt Nill zustande. Neulich hat er, als Teilzeitmitarbeiter eines Radios, ein Interview mit einem Stummen geführt.

Das Berner Duo Stiller Has: Ausgezeichnete Antihelden

Andreas Flückiger und die Alpinisten hiess 1985 mit gleichnamiger LP der erste Vorläufer des Duos Stiller Has. Seither reduzieren Endo Anaconda, 41, und Balts Nill, 43, des Wettrüstens im Rockgeschäft müde, die Musik auf Spielzeuggrösse. Wortwürger, Politpoet und Dialektdadaist der eine, Minimalmusikant und Multiinstrumentalist der andere, verzückten sie 1989 mit einer Kassette Berns Wohngemeinschaften und Szenebeizen, 1992 mit der CD Der Wolf ist los Kritiker und Kellertheater und 1994 mit dem Album Landjäger die halbe Schweiz. Mit ihrem Rock'n'Roll im Taschenformat landeten sie "in der Kleinkunstszene, weil wir nur zu zweit sind". Dafür gab's 1995 die beiden prestigeträchtigsten Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum, "Salzburger Stier" und "Deutscher Kleinkunstpreis". In der Heimat setzte es, fürs erste, eine zaghafte Hitparadennotierung ab. Am 30. März veröffentlichen Stiller Has ihre dritte CD Moudi, von April bis Juni ist das Duo auf Tournee.